DDR-Autobauer trickst Staatsführung aus


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Vor dem Hotel Taschenbergpalais Kempinski in Dresden holt mich Fabian Mattheus, seit kurzem Pressesprecher einer traditionsreichen Automanufaktur, mit einem Ferrariroten Melkus RS2000 ab. Dieser gehört mit seiner streng limitierten Stückzahl aktuell zu den exklusivsten Sportwagen der Welt. Mit dem seltenen Flügeltürer aus dem Osten wagt Melkus, die traditionsreiche Auto-Dynastie aus der sächsischen „Zwingerstadt“, das Comeback. Der Melkus 2000RS ist die Neuinterpretation des berühmten DDR-Sportwagens Melkus RS1000, der 1979 zum letzten Mal gebaut wurde (101 Stück insgesamt) und zum Teil auf Wartburg-Technik beruhte. Sepp Melkus (30), dessen 2005 verstorbener Vater als erfolgreicher Rennfahrer den gleichnamigen Sportflitzer entwickelt hat, führt in dritter Generation des sächsischen Sportwagenbauers das Familienunternehmen mit großem Ehrgeiz weiter.

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Der Melkus RS1000

Autos aus der DDR? Klar, da waren Trabant und Wartburg. Modelle also, die kein Fahrer mit sportlicher Neigung je freiwillig gekauft hätte. Aber da war auch der Rennwagen Melkus RS1000. Für automobile Leidenschaft aus Dresden – dafür steht der Name Melkus bereits in der dritten Generation. Mit dem Melkus RS2000 führt nun Sepp Melkus mit seinem Team die Tradition exklusiver Unikate aus Manufakturfertigung fort.
In den Räumen der Brauerei­vertriebs­nieder­lassung, mitten in Dresden, richtete sich der vom Rennfieber gepackte Bierkutscher Heinz Melkus schon 1955 eine Werkstatt ein und entwickelte den ersten DDR-Sportwagen RS1000, damals ein „Rennwagen für die Straße“. „Richtig ernst habe ich die ganze Sache damals nicht genommen“, erinnert sich Melkus: „Verstehen Sie, ich war 15 oder 16, fuhr Moped und hatte andere Dinge im Kopf als immer nur die Rennfahrerei meines Vaters.“ Melkus Junior spricht mit großem Respekt von seinem Vater, der schon zu Lebzeiten unter Motorsportfreunden zur Legende wurde.

Von den 200 Rennen, die er in den 50er- und 60er-Jahren fuhr, hat Heinz Melkus 80 gewonnen. Er holte sechs DDR-Meistertitel. Die Rennwagen, die er dabei fuhr, wurden in seiner kleinen Firma Heinz Melkus KG (1959 bis 1986) zusammengeschraubt.

Zu dieser Zeit verdiente er seinen Lebensunterhalt als Fahrlehrer, der angeblich „jedem dritten Dresdner das Autofahren beigebracht hat“. Der vielseitig begabte Heinz stieg in den Rennsport ein, fuhr anfangs mit VW-Schwimmwagen und Veritas und gewann neben sechs DDR-Meis­ter­schaf­ten dreimal den Titel „Pokal für Frieden und Freund­schaft“, die Europa­meister­schaft hinter dem „eisernen Vorhang“. Der populärste Motorsportler der Deutschen Demokratischen Republik gab 1977 seinen Rücktritt bekannt.

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Ronny Melkus, der Sohn von Ulli Melkus, wird Teamkollege von Ralf Schumacher (rechts)

Gerade mal einen Meter hoch, mit eleganten Flügeltüren versehen, wurde der rare Traumwagen nur an Sportfahrer zugeteilt. Die hatten es Heinz Melkus zu verdanken, der den politisch nicht gewollten Rennwagen entwickelte. „Schließlich wurden Teile aus der Serienproduktion der DDR-Autos abgezogen“, weiß Sepp Melkus.

Sein Großvater schlug schließlich der Planwirtschaft ein Schnippchen, in dem er 1969 den RS1000 als Geburtstagsgeschenk zum 20-jährigen Bestehen der Bauern- und Arbeiterrepublik übergab. Die beiden Genossen Ulbricht und Honecker wollten damit zeigen, dass es endlich aufwärts gehe mit dem zweiten deutschen Staat. Das zweite Fernsehprogramm ging auf Sendung, in der Textilbranche wurde der Polyesterstoff „Präsent 21“ entwickelt – das spektakulärste Geschenk aber legte Heinz Melkus mit seinem „sozialistischen Entwicklungskollektiv“ auf den Gabentisch: den RS1000, einen handgefertigten, straßentauglichen Boliden, 700 Kilogramm schwer, 75 PS stark und 170 Stundenkilometer schnell.

In diesem Zusammenhang sollte dargestellt werden, dass die Idee als eine Arbeit zum Wohle des Staates darstellte. Laut der in Mainz erschienenen Zeitschrift „Oldtimer Markt“ beantragte die Kommission Automobilrennsport im November 1968 bei der Zentralen Sportkommission einen Beschluss: „Man wollte einen komplett in der DDR gebauten Sportwagen auf die Räder stellen, und zwar „zu Ehren des 20. Jahrestages der DDR“. Soviel Engagement zum Wohle der Republik machte Eindruck – Melkus durfte bauen. Allerdings hieß es „vollständig in der DDR gebaut“.

Heute sitzt Peter Melkus im Büro der kleinen Werkstatt Melkus Sportwagen KG in Weißig am östlichen Stadtrand von Dresden, die er mit Sepp und 15 Mitarbeitern betreibt, und fühlt sich pudelwohl. „Hier riecht es nach Öl und Benzin und alles ist ein wenig wie früher“, sagt der 58-Jährige. Nebenan arbeiten drei Automobilbauer an einer unlackierten Karosse; darunter Siegfried Anacker (72), der schon seit der Melkus-Firmengründung mitarbeitet.

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Sepp Melkus mit dem RS2000

Als der Vater 2005 starb, gründeten sein Sohn Peter und Enkel Sepp Melkus im Mai 2006 die Melkus Sportwagen KG, die 2009 in eine GmbH umgewandelt wurde.

Melkus heute: „Wir bedienen uns aus dem VW/Audi-Regal“, erklärt Geschäftsführer Sepp Melkus. Tatsächlich wird der Vierzylinder des Audi S3 eingebaut, der allerdings von 265 auf 300 bis 350 PS weiterentwickelt wurde. Noch stärker ist der RS2000 GTR für das Melkus-Rennteam (mit Ronny): 405 PS beschleunigen das Auto im Renneinsatz.

Gerade einen Meter hoch duckt sich die elegante Erscheinung des aktuellen Melkus RS2000 GT auf der Straße. Die lange Haube mit dem fein geschwungenen Kotflügeln verleiht dem automobilen Sportler schon im Stand einen Eindruck von Schnelligkeit, der Einstieg erfolgt durch schicke Flügeltüren und ist für gut genährte Wohlstandsbürger wie mich eine akrobatische Übung.

Sonderwünsche sind kein Problem: So gab ein chinesischer Autokäufer in Auftrag, das Gesicht seiner Frau in den Sitz sticken zu lassen, was anderswo als „Facesitting“ bezeichnet wird. Ein anderer gab ein paar Tropfen seines eigenen Blutes in das Ferrarirot, bevor der Flitzer lackiert wurde und offenbar ein Musikfreund aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wünschte, seinen Melkus 2000GTR komplett mit echtem Klavierlack zu lackieren.

Der überwiegende Teil der 101 gebauten Melkus RS1000 existiert heute noch. Und während die meisten Trabants und Wartburgs längst verschrottet sind, ist der „sozialistische Flachmann“ aus Dresden zu einer gepflegten Rarität geworden.

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