Hightech auf dem Acker


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Es ist alles anders: Ein Joystick statt eines Gaspedals, die Fußbremse ist nur für den absoluten Notfall. Normalerweise wird durch Zurückziehen des Joysticks gebremst. Dazu ein GPS-System, das eine Fahrt mit einer Maximalabweichung von zwei Zentimetern von der Ideallinie erlaubt. Ein nagelneuer Rennwagen also?

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Volles Rohr vorwärts rückwärts: Die Kabine des Xerion kann angehoben und um 180 Grad gedreht werden.

 

Nein, ich sitze in einem hochmodernen Mähdrescher. Der Ort der Handlung: Hof Loermann im Münsterland. Hier hat der weltweit viertgrößte Landmaschinenhersteller Claas (3,3 Mrd. Euro Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr) gerade mal vier Kilometer von seinem Stammsitz Harsewinkel entfernt eine Präsentationsstrecke für Mähdrescher und Co. gebaut. Den Begriff „Teststrecke“ dagegen hört Claas-Pressesprecher Jörg Huthmann gar nicht gern. Getestet werden die monströsen grünweißen Erntehelfer an entlegenen Winkeln der Welt. Genau wie bei der Automobilindustrie sorgsam getarnt und abgeschottet, denn auch hier lauern Erlkönig-Jäger, erläutert Huthmann.

Auf Hof Loermann hingegen präsentiert sich Claas offen, zeigt gerne seine im Markt befindlichen oder direkt vor der Markteinführung stehenden Produkte den potenziellen Kunden und lädt zu Probefahrten ein. Obwohl kein öffentliches Trecker- und Mähdrescherfahren angesagt ist, besuchen doch jährlich rund 10.000 Interessenten den Hof. Nicht nur Kunden, sondern auch Journalisten wie ich.

Obwohl ich im Münsterland groß geworden bin, ist es erst die zweite direkte Begegnung mit Landmaschinen. Die erste ist fast 20 Jahre her, damals war es ein Ford-Trecker aus den 1950er-Jahren, mit dem mein Kumpel Bernhard den Mutterboden rund um mein nagelneues Einfamilienhaus verteilt hat. Sofort wird klar: Das eine hat mit dem anderen gar nichts mehr zu tun!

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In einer abgeschlossenen Kabine wird der fertige Mähdrescher 20 Minuten lang intensiv geprüft.

Feststellbremse lösen – natürlich per Knopfdruck. Joystick nach vorne schieben. Stopp! Erst das Schneidwerk anheben. Jetzt den Steuerknüppel nach vorne schieben. Welch eine Kraft, die da der Hydraulikmotor aus den 540 PS des Achtzylinder-Dieselmotors entwickelt. Auf in Richtung Acker, der allerdings auf dem Hof Loermann eine Asphaltpiste ist. So kann man unter sauberen Bedingungen sehen, wie präzise der Messerbalken und die Ährenheber über den Boden geführt werden. Das funktioniert bergauf ebenso gut wie auf der kurzen, aber ekelhaft steilen Gefällestrecke, die bei der ersten Runde auf dem Bock richtig Mut verlangt. Doch selbst hier bei gefühlt 70 Prozent Gefälle, kann ich den Mähdrescher ganz ohne Bremse nur durch ziehen des Joysticks halten. Weiter geht’s auf die Buckelpiste. Das Ganze mit recht hoher Geschwindigkeit. Das Schneidwerk macht’s artig mit. Keine Bodenberührung. Aber Spuren auf dem Asphalt zeigen: Das haben andere schon geschafft.

Fahrzeugwechsel: Jetzt ein Alldradler, ein Traktor der Xerion-Baureihe. Gigantisch bereits die vier Räder mit der Dimension 710/70R42. Was noch mehr begeistert als Größe ist die Technik vom Feinsten. Nach dem Drücken von ein paar Schaltern und Tastern hebt sich die Kabine an, schwenkt um 180 Grad. Der Blick geht jetzt ohne störende Motorhaube senkrecht nach unten. So hat man diverse Anbaugeräte optimal im Blick und kann präzise arbeiten. Und vorwärts gerichtet auch rückwärts fahren – mit bis zu 50 km/h.

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Ohne die Seitenverkleidung wird erst deutlich, wie aufwendig das System aus Hydraulikleitungen, Riemen und Ketten ist.

Wer immer schon mal nüchtern wissen wollte, wie es ist, betrunken zu fahren, der schaltet auf den sogenannten Hundegang um. Jedes der vier angetriebenen Räder lenkt jetzt in eine eigene Richtung, der Riesentrecker eiert über die hier eigentlich schnurgerade Strecke. Gegenlenken macht die Situation nicht wirklich besser. Erst passiert gar nichts, dann kommt abrupt der andere Straßenrand bedrohlich nahe. Doch irgendwann stellt sich hier auch Gewohnheit ein, wie überhaupt der Umgang mit diesen Monstern dank vielfältiger elektronischer Unterstützung recht schnell erlernt werden kann. Was soll dieser Unsinn mit dem Hundegang? Nun, damit kann man Silage sehr gut festfahren. Ohne diese Technik bliebe in der Mitte ein unverdichteter Streifen stehen.

Genug gespielt! Zeit, sich die Fertigung und die umfangreichen Prüfprogramme bei Claas anzusehen. Auch hier begegnen uns auf Schritt und Tritt beeindruckende Zahlen. Ein paar Beispiele: Die Kraftstofftanks eines Mähdreschers fassen bis zu 1.150 Liter Diesel. „Wenn man es gehen lässt, ist das an einem Tag weg“, schmunzelt der Leiter Technische Dienste Montage 1, Bernd Schicketanz. Der Korntank, also das Zwischenlager für das gedroschene Getreide, hat 12,5 Kubikmeter Volumen und ist im Allgemeinen nach einer halben Stunde randvoll.

Rund 3,3 Meter breit und 4 Meter hoch ist so ein Mähdrescher. Das abnehmbare Schneidwerk mit der markanten roten Haspel kann bis zu 12 Meter breit sein. Entsprechend groß ist die Leistung. Maximal 431 kW (586 PS) aktiviert das Achtzylinder-Aggregat, unter dem sich die Reinigung des Korns mittels Schüttelsieben oder großen Rotoren befindet. „Die Hauptaufgabe ist das Dreschen“, macht Schicketanz deutlich. „Das Fahren ist nur ein Nebenschauplatz.“ Entsprechend wird hierfür die meiste Kraft gebraucht. Die diversen Hydrauliksysteme arbeiten mit bis zu 450 bar Druck und haben insgesamt eine Ölmenge von bis zu 70 Liter.

Produziert wird bei Claas in zwei Richtungen. Da sind zum einen die Hauptmontagelinien und im rechten Winkel dazu Montagelinien für einzelne Baugruppen. Immer wieder trifft man auf Qualitätstore. Hier werden Komponenten geprüft, um schon früh auf mögliche Probleme reagieren zu können. Mit einer Fernbedienung werden von einem Ingenieur die Prüfprogramme durchgefahren und die Ergebnisse auf einem Monitor angezeigt. Da werden zum Beispiel Drehzahlen, Drücke und Einstellwerte gecheckt und ggf. sofort vor Ort angepasst. 15 Jahre lang werden die Prüfdaten archiviert. Insgesamt beträgt die reine Prüfzeit (ohne Einstellarbeiten) für einen Mähdrescher der Spitzen-Baureihe Lexion mehr als acht Stunden.

Dazu gehört auch die Endprüfung, die in einer abgeschlossenen Kabine stattfindet. Nach einer Vorlaufzeit von 15 Minuten, in der alle Aggregate auf Betriebstemperatur gebracht werden, folgt eine 20-minütige Prüfung, unter anderem werden Fahrsituationen bei Steigung und Gefälle simuliert. „Wir nehmen an den Leistungsbremsen die echten Zugkräfte ab“, erklärt Schicketanz. So erkennen die Techniker sehr schnell, ob alles im grünen Bereich ist, bei den hellgrünen Hightech-Landmaschinen aus dem Münsterland.

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Bis zu zwölf Meter breit ist das Schneidwerk eines Claas-Mähdreschers.

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