Rallye Schweden: Nagelprobe bei minus 20 Grad


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Rallyes gelten gemeinhin als der Zehnkampf des Motorsports. Gerade auf Eis und Schnee werden sie zur besonderen Herausforderung. Für das KÜS magazin hat Gregor Mausolf die Rallye Schweden besucht.

Lagerfeuer

1.536 Spikes beißen sich in den Untergrund. 384 Nägel pro Reifen. Gnadenlos. Sie erlauben Geschwindigkeiten auf Eis und Schnee, die jenseits von Gut und Böse sind. Mit teilweise 200 km/h knallt der Finne Mikko Hirvonen in seinem Ford Focus durch die schwedischen Wälder und gewinnt so die Rallye Schweden, Auftakt der diesjährigen Rallye-Weltmeisterschaft.

Am Ende steht die Uhr bei 3 Stunden 9 Minuten 30,4 Sekunden. 345,15 Kilometer auf Bestzeit hat der schnelle Nordmann zurückgelegt, verteilt auf 21 Wertungsprüfungen. Ein Schnitt von über 109 km/h, auf verschneiten Waldwegen, bei denen unsereins schon bei Tempo 60 ein schlechtes Gewissen bekommt. Okay, wir müssen mit Gegenverkehr rechnen, Spikes haben wir auch nicht. Und Vize-Weltmeister sind wir erst recht nicht. Aber das Befahren dieser Sträßchen am Tag nach der Rallye vergrößert noch die Hochachtung vor diesen tollkühnen Männern.

Lange Geraden gibt es einige, sonst wären selbst mit den über 300 PS der Rallye-Boliden die Spitzengeschwindigkeiten mit der 2 vorne nicht drin. Doch die Straße steigt und fällt wie eine Achterbahn. Und so kommt es hinter Kuppen zu Sprüngen, die die Fans in Verzückung geraten lassen und den Magen der Insassen arg strapazieren. Nicht so weit wie in Finnland mit einem «Weltrekord» von knapp 50 Metern, doch 37 Meter sind schon drin an «Colins Crest» – benannt nach dem legendären schottischen Rallye-Weltmeister Colin McRae, der 2007 bei einem Hubschrauberabsturz zu Tode kam.

«Der schnellste Wintersport der Welt» nenntsich die Rallye selbst – sicher auch eine Anspielung an die parallel stattfindenden Olympischen Winterspiele in Vancouver. Während die Veranstalter dort mit Plusgraden kämpfen, herrscht in der schwedischen Provinz Värmland bittere Kälte: Deutlich unter -20 Grad Celsius in der Nacht, tagsüber quält sich das Thermometer auf stolze -14 Grad Celsius. Eine Extrembelastung für Mensch und Material. Mitleid kommt auf. Mitleid mit den Mechanikern, die unter diesen Bedingungen am eiskalten Metall herum schrauben müssen. Im Servicepark, mitten auf der Landebahn des Flugplatzes Hagfors. Unter Partyzelten, die nach allen vier Seien offen sind. Da nützen auch die Heizstrahler nicht wirklich.

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Im Hintergrund zählt eine überdimensionale Digitaluhr die Sekunden herunter. Die Zeit für die kleine oder große Inspektion ist streng reglementiert – bei Überschreitung gibt´s Strafsekunden. Für jede Minute zehn. Zu richten gibt es viel. Kaum eines der 58 Teams kommt bei dem heißen Tanz auf eiskaltem Belag ohne Blessuren davon. Abgerissene Front- und Heckschürzen sind an der Tagesordnung. Routine, kein Grund zur Aufregung.

Zurück im Wald. Mit lautem Sirenengeheul, das auch den letzten Elch in Deckung gehen lässt, kündigt sich der Vorauswagen an. Am Steuer des Ford Focus kein geringerer als Altmeister Björn WaldegÃ¥rd – Weltmeister von 1979 und fünfmaliger Gewinner der Svenska Rallyt. Sein Einsatz und auch das Engagement des schwedischen Prinzen Carl Philip als Starter zeigen, welch enormen Stellenwert der Rallyesport im hohen Norden hat. Vor einigen Jahren fuhr sogar Carl Philips Vater König Carl XVI. Gustaf auf dem heißen Sitz des Vorauswagens die Rallye mit.

Wenig später wird’s dann richtig laut. Pfiffe aus den Trillerpfeifen der Streckenposten warnen die Fans. Der sechsfache Champion Sebastien Loeb tobt den Hügel hinauf, springt mit seinem Citroën C4 ein paar Meter, lenkt in der Luft bereits für den Moment der Landung passend ein. Gaspedal lupfen? Warum? Millisekunden später wird doch eh wieder Vollgas gebraucht. Linkskurve. Perfekter Drift. Gut, dass Winter ist, sonst würden die Mücken an der Seitenscheibe ihr Leben lassen. Knapp zwei Minuten später pfeift Mikko Hirvonen über die Kuppe. Genauso schnell, genauso spektakulär. Ein Schleier aufgewirbelten Pulverschnees lässt lediglich erahnen, dass hier der künftige Sieger entlang geschossen ist. Nur noch der Motor dröhnt in der Einsamkeit von «Torntorp2», die heute mit tausenden Fans keine ist. Hirvonen hat längst die Lichtschranke im Ziel ausgelöst: 9:57,0 Minuten – als einziger auf diesen 19,21 Kilometern unter zehn Minuten. Der Schnitt ist mit 115,84 km/h nur sein achtschnellster auf den 21 Wertungsprüfungen. Den höchsten Durchschnittswert mit 119,18 km/h erreicht Hirvonen, als erdie 21,87 Kilometer der Spezialetappe Rämmen2 in 11:00,6 Minuten durchpflügt.

Möglich machen diese irren Geschwindigkeiten unter anderem die Reifen. Pirelli ist seit 2008 alleiniger Reifenlieferant in der Rallye-Weltmeisterschaft und hatallein in Schweden rund 1.500 Reifen für die knapp 60 Teams aufgezogen.

«Das Grip-Niveau ist sehr hoch, es liegt nur wenig unter dem von Asphalt-Reifen»,

erklärt Pirellis Rallye-Chef Mario Isola. Während normale Spikes – in den Ländern, in denen sie erlaubt sind – nur 1 bis 2 Millimeter aus der Lauffläche herausragen, sind es bei der Schwedenrallye 7 Millimeter, die für die schierunglaubliche Traktion sorgen. Sie bestehen aus Wolfram, dem Metall mit dem höchsten Schmelzpunkt (3.422 °C) und einer sehr hohen Dichte.

In einem patentierten Verfahren werden die 384 Nägel bereits bei der Produktion des Reifens in die Lauffläche eingebacken und nicht erst nachträglich reingeschossen. Unter idealen Bedingungen können sie so 80 bis 100 Kilometer oder auch mehr halten. Bei der zweiten Durchfahrt einer Wertungsprüfung hat auch der schönste schwedische Waldweg bereits mächtig gelitten. Die Fahrt wird zur Nagelprobe, und ein Metallstift nach dem anderen verabschiedet sich nach hartem Kontakt mit dem gefrorenen Schotter-Untergrund. Speziell in der Dämmerung ein beeindruckendes Schauspiel, wenn nicht nur die Bremsscheiben rot glühen, sondern auch die Spikes bei der Berührung mit Steinen Funken sprühen.

Unübersehbar auch Tausende von Lagerfeuern. Wer das Holz in «Zwiebelsäcken» von zu Hause mitgebracht hat, schafft schnell eine angenehme Wärmequelle, über der sich zudem Würstchen an Stöcken oder gar Hightech-Teleskopgabeln erhitzen und auch anbrennen lassen. Die Mehrheit der Fans indes geht jedoch erst vor Ort auf die Suche nach Brennbarem.

Einzige Deutsche im Feld sind der amtierende Deutsche Rallyemeister Hermann Gassner jr. und Beifahrerin Kathi Wüstenhagen. Ihr Debüt auf Eis und Schnee gilt in erster Linie dem Sammeln von Erfah-rungen. Gleich in Wertungsprüfung Nr. 3 küsst Gassners Mitsubishi Lancer Evo IX eine Schneewand. Nur mit kräftiger Zuschauerhilfe schafft es der 21-jährige Oberbayer nach endlosen acht Minuten zurück auf die Straße. Er verliert 18 Plätze, kämpft sich aber an den nächsten Tagen Platz für Platz nach vorne. Auf der drittletzten Prüfung Lesjofors macht Gassner erneut Bekanntschaft mit einem Schneehaufen, die ihn weitere elf Minuten kostet.

Am Ende steht Platz 33 im Gesamtklassement für den Deutschen. «Es hat wahnsinnig Spaß gemacht», bewertet Gassner seinen ersten Einsatz auf dem tückischen, weißen Untergrund dennoch sehr positiv.

Ach ja, und dann ist da noch der ehemalige Formel-1-Weltmeister Kimi Räikkönen. Auch er muss eine Menge Lehrgeld zahlen. Der 30-Jährige landet auf Rang 30 im Gesamtklassement – drei Plätze vor Gassner.

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