Den ganzen Kölner Dom
auf einmal um 20 Meter verschieben –
unvorstellbar.
Doch im Prinzip haben Ingenieure des Landesbetriebs Straßenbau in Nordrhein-Westfalen (Straßen.NRW) genau das vor. Zumindest was das Gewicht angeht. Der Schauplatz dieser Aktion wird in der Nähe des kleinen Dörfchens Rinsdorf bei Siegen sein.
Hier überspannt die Autobahn A45 seit 1967 in über 70 Metern Höhe das Tal. Die Brücke hat ihre beste Zeit lange hinter sich und muss – wie die meisten anderen Viadukte der Sauerlandlinie auch – erneuert werden. Schließlich war sie damals auf 20.000 bis 25.000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt, jetzt rollen in der Spitze 100.000 darüber.
Kein leichtes Unterfangen, denn der Platz ist begrenzt. „Derart enge Radien würde man heute gar nicht mehr bauen“, erläutert Projektleiter Michael Neumann von Straßen.NRW. Auch eine zweite »Sünde« der Vergangenheit macht den Brückenbauern zu schaffen: Alle Fahrspuren ruhen auf gemeinsamen Pfeilern. Man kann also nicht die alte Brücke in Etappen abreißen.
So erdachten die Verantwortlichen beim Landesbetrieb einen kühnen Plan. Kurz gesagt: Erst wird eine neue Brücke mit den künftigen drei Fahrspuren in Richtung Dortmund nordöstlich neben dem bestehenden Bauwerk errichtet. Ist sie fertig, wird der gesamte Verkehr auf die neue Brücke gelegt, damit die alte gesprengt werden kann. Ist der Schutt beseitigt, beginnt in der alten Trasse der Neubau der Talüberquerung in Richtung Frankfurt. Nach deren Fertigstellung wandert aller Verkehr auf diese Seite.
Dann wird’s richtig spektakulär, auch wenn man bei kurzem Hinsehen nichts davon merkt! Die zuerst gebaute 485,5 Meter lange Brücke wird um etwa 20 Meter nach Südwesten verschoben. Komplett! Also zeitgleich auch mit ihren sechs Pfeilern samt Fundamenten, von denen der größte eine Höhe von stolzen 70 Metern hat. „Das hat in Deutschland noch niemand gemacht“, ist sich Projektleiter Neumann sicher.
Doch bis es soweit ist, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Bereits im September 2017 war der 1. Spatenstich, und parallel wird die wenige hundert Meter weiter nördlich liegende Talbrücke Rälsbach neu gebaut. Konventionell als Spannbeton-Konstruktion. Bei der räumlichen Nähe macht es Sinn, beide Brückenbauwerke zeitgleich in Angriff zu nehmen – dies verkürzt die Bauzeit und auch der Verkehrsfluss wird nicht unnötig lange gestört.
Bevor überhaupt mit dem Bau begonnen werden konnte,
waren bereits die ersten 4 bis 6 Mio. Euro investiert.
Der Baugrund musste neu erkundet werden, denn – so Neumann – „die Unterlagen aus den 60er-Jahren, soweit vorhanden, sind nicht aussagekräftig genug.“ Zudem musste eine eigene Infrastruktur für die Baustelle eingerichtet werden. Dazu gehören auch Straßen vom – aus Containern bestehenden – Baubüro am Talgrund, die sich in engen Schleifen den Berg hoch zur Autobahn winden. „Sie werden zum größten Teil später wieder zurückgebaut“, macht Neumann deutlich.
Inzwischen sind die sechs Pfeiler der künftig zu verschiebenden Brücke fertig. Klassisch gegossen mit Ortbeton. Ein wenig designt, um nicht so plump in der Landschaft zu stehen wie die alten Stützen. Ist aber Geschmackssache. Jetzt wird die Brücke im Taktschiebeverfahren hergestellt – ganz ähnlich wie bei der Lennetalbrücke in der Nähe von Hagen, über deren »große Schiebung« wir im KÜS-Magazin im Herbst 2018 berichtet haben. Mit einem Unterschied: Die einzelnen Elemente der Brückenkästen müssen vor Ort aus zwei Hälften zusammengeschweißt werden. Sie kommen aus dem rund 400 Kilometer entfernten Zwickau, und es gibt (selbst mit Umwegen) nur Autobahnstrecken aus Sachsen ins Siegerland, wo mindestens eine Brücke den Belastungen eines kompletten Elements nicht gewachsen wäre.
Um das Taktschieben (Längsverschubzustände) mittels starker Hydraulikzylinder mit diesen Pfeilerhöhen von bis zu 70 m sicherzustellen, sind im Vorfeld Windkanalversuche an der Ruhruni Bochum unternommen worden. Ziel der windtechnologischen Untersuchungen ist es, die Windwirkungen an den Überbauten der Talbrücke Rinsdorf auf Grundlage von Windkanalmessungen zu erfassen. Mit speziell konzipierten Leitblechen die am Hohlkasten montiert sind, werden mögliche Auswirkungen durch Wind sehr stark abgemildert. Diese Leitbleche werden nach dem Taktschiebvorgang wieder abgebaut.
„Das sieht aus wie in einem Keller“, dämpft Neumann die Erwartungen vor der Besichtigung der Pfeiler. Stimmt! Rechts und links zwei Betonwände und darüber die Säule. Aber wann hat man schon mal die Möglichkeit, im wahrsten Sinne des Wortes unter einem Brückenpfeiler zu sein – wenn auch nur in gebückter Haltung. Nur durch Ihr Eigengewicht bleibt die Brücke an Ort und Stelle, denn zwischen den seitlichen Betonwänden und den Pfeilern sind Edelstahl und Teflonplatten angeordnet, damit das Bauwerk später verschoben werden kann. „Unten kommen kaum Querkräfte an“, erklärt der Projektleiter.
Doch selbst nach dem Querverschub wird es noch einige Monate dauern, bis der Verkehr wieder ungestört rollt. Die Übergänge zur übrigen Autobahn müssen neu hergestellt werden. Auch der Lärmschutz kann erst dann montiert werden, um nicht schon vorher dem Wind eine zusätzliche Angriffsfläche zu geben. Angesichts dieses enormen Aufwandes hat man volles Verständnis für die veranschlagten Kosten von 76,8 Mio. Euro allein für den Neubau der Talbrücke Rinsdorf. Für die Talbrücke Rölsdorf sind nochmal 15,4 Mio. Euro geplant sowie für den sechsstreifigen Ausbau der A45 vor, zwischen und hinter den beiden Brücken 25 Mio. Euro.