Weit verbreitet ist auch die Fehleinschätzung, dass sich die Insassen bei niedrigen Geschwindigkeiten im Notfall abstützen können. Das funktioniert nicht einmal bei einer Notbremsung. Bei einer Kollision ist es dann völlig unmöglich. Aus einem 75-Kilo-Mann werden durch die Beschleunigungskräfte ruckzuck eine Tonne Gewicht. Das hält selbst der stärkste Bodybuilder nicht. Hinzukommt, dass diese Tonnage binnen Millisekunden und ohne Vorwarnung gehalten werden müsste.
In einem Crashtest hat die Unfallforschung der Versicherer (UDV) einen Minivan auf nur 20 km/h beschleunigt. Der Beifahrer ist nicht angeschnallt. Die Folgen sind fatal: Diese geringe Geschwindigkeit reicht bereits aus, um den Passagier aus dem Sitz zu katapultieren. Der Dummy schlägt dabei gleich dreimal mit dem Kopf hart auf: Zunächst fliegt der Kopf auf das Cockpit. Dort prallt er ab, schlägt dann in die Frontscheibe, um schlussendlich erneut mit der Stirn auf den Armaturenträger zu treffen. Der Airbag bleibt dabei geschlossen. Ungeschützt würde ein Mensch trotz dieser geringen Geschwindigkeit schwerste Kopfverletzungen davon tragen.
Der Crashtest hat einen traurigen Hintergrund: Bei 27 % aller Verkehrsunfälle mit Getöteten waren die Unfallopfer nicht oder nicht richtig angeschnallt. Bei den Schwerverletzten waren acht Prozent gar nicht oder falsch angeschnallt.
In diesem Zusammenhang warnt die KÜS vor sogenannten Anti-Gurtwarnern aus dem Internet. Diese Gadgets – manchmal auch mit Zweitfunktion als Flaschenöffner – sind lebensgefährlich. Sie gaukeln dem Gurtschloss vor, dass der Sicherheitsgurt ordnungsgemäß angelegt ist. Der warnende Gurtpiepser ist somit deaktiviert. Die Passagiere spielen so allerdings mit ihrem Leben Russisches Roulette. Sollte es zum Unfall kommen, gibt es kaum noch Überlebenschancen. Die UDV schätzt, dass jährlich 200 Tote auf Deutschlands Straßen auf das Konto von Gurtverweigerern gehen.
Fotos: Oliver Lauter