Laufsteg der eitlen Eiligkeiten
Dumm nur, dass man in Nardò an der Südspitze des italienischen Stiefelabsatzes meist nicht einmal diesen Bruchteil einer Sekunde hat. Denn das hier ist nicht irgendeine Teststrecke. Nardò gilt nicht umsonst als Ring der Rekorde. In den 1970ern gebaut und von einer 12,6 Kilometer langen Kreisbahn umgeben, ist sie die Hochgeschwindigkeitsstrecke schlechthin. Die 360-Grad-Piste mit einem Durchmesser von vier Kilometern ist exakt so weit nach innen geneigt, dass die Zentrifugalkraft ausgeglichen wird und sich eine Kurve anfühlt wie eine Gerade, bis Tempo 240 bleibt das Lenkrad in diesem Kreis gerade.
Wer auf Highspeed aus ist, der kommt deshalb hierher. Etwa Nick Heidfeld mit dem Pininfarina Battista, der mit seinen 1.900 PS zum ersten Hypercar der Akku-Ära werden und alles überholen will, was die Verbrennerwelt bis dato auf die Räder gestellt hat. Und nicht ohne Grund »scharren« auf der unscheinbaren Zufahrt zum ziemlich abgelegenen Testgelände schon mattschwarz lackierte Bugatti, McLaren im Tarnkleid der Erlkönige und ein halbes Dutzend wild beflügelter Porsche 911 nervös mit ihren ebenso breiten wie profillosen Reifen und machen die Landstraße auf dem Weg zum Testgelände zum Laufsteg der eitlen Eiligkeiten. Und in den Hallen auf dem weitläufigen Areal hört man überall das Knistern heiß gefahrener Auspuffanlagen und riecht die glühenden Bremsscheiben, wenn die Boliden nach ihren Hotlaps auskühlen.
Eröffnet wurde das Areal am 1. Juli 1975 als Società Autopiste Sperimentali Nardò von Fiat – schon damals umgeben von der spektakulären Kreisbahn, die man selbst aus dem Flieger nach Sizilien erkennen konnte.
Keine Angst vor der Zukunft
2012 von Porsche Engineering übernommen, seitdem nüchtern als Nardò Technical Center geführt und zuletzt 2019 kräftig modernisiert, bietet es heute neben Dutzenden Werkstätten, Klimakammern und Abgas-Prüfständen noch zahlreiche weitere Teststrecken vom großen 6,2 Kilometer langen Handling-Parcours mit seinen 16 Formel-1-tauglichen Kurven über die Marter-Pisten bis hin zu einem großen Offroad-Areal.
Der einzige Hersteller, der Nardò ein rollendes Denkmal gesetzt hat, ist VW. Die Wolfsburger haben einer Studie den Namen des Rundkurses gegeben. Kein Wunder, schließlich hat der VW »Nardò« 2002 mit seinem 600 PS starken W12-Motor hier 2002 den 24-Stunden-Rekord gebrochen und 7405,76 km mit einem Tempo von 322,891 km/h absolviert.
Und selbst wenn das Röhren von Bugatti & Co tatsächlich bald verstummen sollte, steht mit Autos wie dem Pininfarina Battista eine neue Generation elektrischer Supersportwagen bereits in den Startlöchern. Und in Nardò sind sie dafür längst gerüstet – denn spätestens seit Hausherr Porsche hier vor zwei Jahren die finalen Dauerläufe mit dem Taycan absolviert hat, gibt es auf dem Areal mehr Elektro-Ladesäulen als wahrscheinlich im ganzen Rest von Apulien. Auch wenn die Autowelt gerade in einem größeren Umbruch ist als je zuvor, hat in Nardò niemand Angst vor der Zukunft und davor, dass sie vielleicht bald keine Teststrecken für extreme Geschwindigkeiten mehr brauchen.
FOTOS Pininfarina, Porsche, Volkswagen