Er hat uns zu einer Ausfahrt in seinem Bulli eingeladen. Jeder Kilometer mit dem alten T1 sei eine Reise in die eigene Vergangenheit, sagt er. Im VW Bus sei er groß geworden, gemeinsam mit vier Halb- und sieben Vollgeschwistern, die in den späten 70ern als Kelly Family durch Städte tingeln, Straßenmusik machen. „Das war rough“, sagt Kelly mit seinem irischen Slang, „eine verdammt harte Schule für uns alle. Einige meiner Geschwister haben das Leben von früher bis heute nicht verkraftet.“ Da wurde im VW Bus gelebt, gestritten, das Geld gezählt. Dafür sei Joey zuständig gewesen, die anderen hätten sich die Songs ausgedacht. “Musikalisch war ich nie“, sagt Joey und grinst.
Die Fahrt im alten Bus führt uns nach Lohmar, ins Bergische Land, zu einem denkmalgeschützten Pfarrhof aus dem frühen 16. Jahrhundert. In den alten Baracken lebten einst Mönche. Inzwischen hat sich Joey Kelly hier eingerichtet.
Das bescheidene Leben voller Entbehrungen habe ihn geprägt wie kein anderes Mitglied der Familie. Auch dann, als die Kellys erste musikalische Erfolge feiern, sogar im Fernsehen auftreten. 1979 haben sie mit „David’s Song (Who’ll Come With Me) ihren ersten großen Hit, auch in Deutschland. Aus der Zeit stammen die kultigen, britischen Doppeldecker-Busse, für viele Jahre die rollende Heimat der Kellys. Heute rosten sie auf dem Pfarrhof vor sich hin. Joey hat sie aufgehoben, will sie irgendwann einmal restaurieren, wenn er die Zeit findet.
Damals hatte Vater Dan Sohn Joey zum Werbechef und Fuhrpark-Leiter der Kellys gekürt. Da war er gerade mal 16. Für das Schrauben an den alten Kisten hatte er Talent, es entstand eine besondere Leidenschaft für altes Blech. Von einigen seiner zahlreichen Auto-Schätze hat sich Joey Kelly in den vergangenen Jahren getrennt.
Geblieben sind die besonders Bescheidenen, die verwahrt er in einer Scheune, so wie der alte Käfer, ein 02er mit flacher Scheibe. Der gehörte mal einem Musikerkollegen, Christian Lorenz. Besser bekannt als Flake und Keyboarder bei Rammstein. Ein Auto eines seiner Heroes, sagt einer, der selber ein Held ist. Aber Eigenlob ist nicht sein Ding.
Auch der VW T1 lebt heute mit auf dem Hof, kein originaler Kelly-Bus von damals, aber exakt das Modell, mit dem die Großfamilie in den Siebzigern von Ort zu Ort tingelte, das Hab und Gut mit Seilen auf dem Autodach verstaut. An einen Vorfall aus dem Jahr 1977 kann sich Joey noch gut erinnern. Weil der alte Bus hoffnungslos überladen war, hatte ihn die Polizei gestoppt. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie die geglotzt haben, als da zehn Kinder aus dem Bus rauskrabbelten.“ Die Kellys mussten sich notgedrungen von Habseligkeiten trennen. „Auf einem Parkplatz an der Autobahn kurz hinter Heilbronn haben wir ein Loch gemacht und dort die Sachen gebunkert“, erzählt Joey. Die Stelle habe er Jahre später gesucht, aber nicht mehr gefunden. „Irgendwo bei Stuttgart“, grinst er, „gibt’s einen Schatz von den Kellys, seit mehr als 40 Jahren.“
Kelly hatte den T1 aus dem Baujahr 67 vor einigen Jahren angeschafft, um damit auf Tour zu gehen. Noch einmal wie damals, ohne Geld, ohne Proviant, mit ein paar Litern Sprit im Tank. Nur ein paar CDs und Kelly Bücher aus alten Zeiten, für Tauschgeschäfte. So ausgestattet starten Joey und Sohn Luke zu einem Abenteuer, quer durch den eurasischen Kontinent. 13.000 Kilometer, von Berlin bis Peking. Der alte T1 mutet an als fiele er jeden Moment auseinander, aber das hat keine technischen Gründe. Es sollte halt Mitleid erregen, damit die Leute spenden, für Sprit, Maut und den Hunger unterwegs.
Die Reise mit dem alten T1 ist ein stetes Hoffen und Bangen, auch weil der rostige Bulli die Strecken-Strapazen dann doch nicht meistert wie erhofft. Doch egal, wo sie stranden, ist die Hilfsbereitschaft groß, ob im Baltikum, in Russland, im fernen Sibirien, oder an der Grenze zur Mongolei. Als sie dort CDs verteilen sind sie erstaunt darüber, dass manche die Musiker-Familie tatsächlich kennen. Die Reise der beiden Abenteurer schafft es abends sogar ins mongolische Pendant der deutschen „Tagesschau“. „Ich dachte, wow, Wahnsinn, wo die Musik überall hinkommt, das ist schon irre.“
Aber es gibt auch Hindernisse. An manchen Schlagbäumen droht dem Abenteuer das Scheitern. Probleme machen vor allem die Chinesen. Der letzte Grenzübertritt, ein Spießrutenlauf. Um den Bus auf Chinas Straßen zu bewegen, verlangen die Behörden einen speziellen Führerschein. „Ich musste da echt eine Prüfung ablegen, hab die aber zum Glück sofort bestanden“, erzählt Joey und lacht. Joey und Sohn Luke schaffen die Challenge, nach zehn Ländern und 55 Tagen.
Allerdings endlich am Ziel, das heißt bei Joey Kelly auch immer, noch lange nicht am Ende zu sein. Denn er hatte auf der abenteuerlichen Reise, wie er verrät, neue Pläne geschmiedet, von Alaska nach Feuerland, diesmal mit der ganzen Familie, in einem älteren Mercedes-Lkw. Wann es denn losginge, wollen wir wissen. „In ein paar Tagen.“
Zuvor will er uns noch eine andere verrückte Leidenschaft präsentieren, freilich eine auf Rädern. Eine ziemlich ramponierte Krawall-Karre, grün wie ein Laubfrosch, ein Ford Granada der ersten Generation. Der hat bei Rennauftritten reichlich Prügel kassiert und ausgeteilt. Es gewinnt, wer am Ende als einziger übrig bleibt. Kelly hat öfter gewonnen beim größten Stock Car Event in Europa, auf der Schalke Arena.
50.000 Menschen hätten ihm dort zugejubelt, „hey, das war legendär“, sagt er, startet die alte Karre und prügelt sie über eine Wiese auf seinem weitläufigen Gelände. Der Mann kennt scheinbar keine Grenzen. Das hat ihm auch den Ruf vom „irren Iren“ eingehandelt. Passt perfekt zu diesem sympathischen Draufgänger mit dem irren Auto-Spleen.