»Mural Harbor« – Hafen der Wandgemälde – nennt sich im übertragenen Wortsinn die Ansammlung von über 300 gesprühten Graffiti und Gemälden auf Laderampen und Lagerhallen, Containern und Kühlhäusern. Sie wird heute als umfangreichste Freiluftgalerie dieser Kunst in Europa bezeichnet.
Die Idee kommt von Leonhard Gruber, der aus Tirol nach Linz übersiedelt und sein Büro im Hafen einrichtet. In den Alpen hatte sich der Organisator von Snowboard-Sportevents zuvor einen Namen gemacht. Gruber wird überrascht von der grauen Industriekulisse: „Dabei war Linz bekannt unter Breakdancern und HipHop-Musikern.“ Aber die mit Hip-Hop verbundene Graffitikunst ist in Linz so gut wie unbekannt.
Anlässlich des Hafenfestes 2012 lässt Gruber erstmals die Stirnwand eines Lagerhauses besprühen, 500 Quadratmeter durch den Berliner Graffitikünstler Stohead. Daraufhin spricht es sich wie ein Lauffeuer in der weltweit gut vernetzten Sprayerszene herum: Im Linzer Donauhafen kann auf riesigen Flächen gesprüht werden.
Mural Harbor wird mit Unterstützung der Hafengesellschaft zu einem legalen Platz für die oft illegal gesprühten Graffitis. Vom Postkartenformat bis zu Abbildungen auf über 500 Quadratmeter Fläche reicht die Bandbreite. Das 135 Hektar umfassende Kunstareal zeigt mit ein paar Strichen hin gesprühte Smileys und beeindruckende fotorealistische Porträts. Künstler aus 35 Nationen sprühen und malen im Hafen; sie kommen aus Aus-tralien und Singapur, Marokko und Südafrika, Chile und Peru.
Mit der Hafengalerie können Hardcore-Sprayer wenig anfangen. Sprühen auf Einladung einer Galerie? Geht gar nicht, denn für sie steht der Reiz des Verbotenen im Vordergrund. So entstehen die grellen, farbigen Motive im schützenden Dunkel der Nacht etwa auf U-Bahnen, Güterwaggons, S-Bahnzügen, Autobahnbrücken, Trafostationen, Schallschutzwänden und Verkehrszeichen. Hardcore-Sprayer betreiben das Katz-und- Maus-Spiel mit der Polizei. Graffiti sind Sachbeschädigung und Schmiererei für die einen, urbane Kunst im städtischen Raum für die anderen.
Ist das Kunst, oder kann das weg? Keine Frage für die Besucher und Besucherinnen, denen Galeriegründer Gruber und der Kulturwissenschaftler Michael Url bei Führungen Herkunft und Varianten von Graffitikunst erläutern. Nahezu täglich sind die Beiden mit Gästegruppen unterwegs. Um die 10.000 Besucher hatten sie dort im Jahr 2022. Von der Schulklasse bis zum Pensionistenverein und Betriebsausflug reicht die Schar der Interessierten. Zu Fuß geht’s beim Mural Walk über die Verladekais, oder an ausgewählten Terminen mit dem Schiff durch die Hafenbecken. Nach der Bootsfahrt oder Fußtour können die Besucher beim Crashkurs ihr eigenes Wandbild schaffen. Individuelle Rundgänge sind nicht möglich, da der Hafen aktives Industriegebiet ist.
Mit Mural Harbor hat sich Linz als lebendige Kunst- und Kulturstadt einen Namen gemacht. „Linz lebt in der Gegenwart, Salzburg und Wien stehen für Vergangenes“, erläutert Guide Casimir Paltinger den Touristen auf Rundgängen durchs Stadtzentrum. Salzburg pflege den Kult um den Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart, Wien die K.-u.-k.-Donaumonarchie des 19. Jahrhundert.
Bis in die 1960er Jahre hinein wird die Industriestadt als österreichisches Pittsburgh hin und wieder verspottet. Die Luft ist mit den Abgasen der Schwerindustrie belastet, der Himmel häufig grau. Radtouristen auf dem beliebten Donauradweg von Passau nach Wien machen allenfalls für eine Nacht in Linz Station. Nur schnell weiter, denn in Linz stinkts – ein geflügeltes Wortspiel unter den Radelnden.
Das ist Vergangenheit. Der Stahl- und Technologiekonzern Voestalpine AG, mit rund 10.000 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Region, geht an seinem Stammsitz in Linz auf Umweltkurs. Dafür werden nach Angaben des Unternehmens in jüngster Zeit weit mehr als 2,4 Milliarden Euro investiert.
Viele Impulse bringt das Jahr 2009, als Linz zur Kulturhauptstadt Europas wird. Fördergelder in zweistelliger Millionenhöhe fließen für Kunstprojekte in die Stadt, die nun auch von außerhalb als lohnendes Ziel für den Städtetrip mit kulturellem Schwerpunkt wahrgenommen wird. „Linz verändert“ ist seit 2009 ein Leitgedanke in der Stadt.
Im Ars Electronica Center an der Nibelungenbrücke tauchen die Besucher ein in elektronische und digitale Welten: Roboter bringen eine Marionette zum Tanzen, künstliche Intelligenz entlockt einem Klavier sinfonische Klänge. Interaktive Schauen zeigen die Auswirkungen von Technologien auf unseren Alltag. Ein einzigartiges Museum und weiteres Beispiel für den Wandel der Industriemetropole zum Kulturzentrum der Gegenwart.
Am Ende geht es traditionell zu: Die Linzer Torte ist beliebtes Mitbringsel vom Besuch in der Donaustadt. Deren Rezept stammt aus dem 17. Jahrhundert und soll das älteste dokumentierte Tortenrezept der Welt sein.
INFO
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A-4020 Linz
Tel.: +43 732 – 7070 2009
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Fotos Bernd F. Meier