Aus 300plus wird 100minus


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Monatelang haben die Studenten und ihre Professoren auf den Rekord hingearbeitet, sind dann nicht an der Technik, sondern am Wetter gescheitert. Nur ganz knapp! 303,6 km/h – so schnell war noch nie ein mit Flüssiggas (LPG) betriebenes Serienauto unterwegs. Für einen offiziellen Weltrekord indes fehlt auf dem Hochgeschwindigkeitsoval in Papenburg nur noch die gleiche Tour in Gegenrichtung. Um Windeinflüsse auszuschließen. Doch inzwischen regnet es Bindfäden.

24_X_Projekt_V300_Testfahrer

«Projekt v300plus» heißt die ehrgeizige Aktion, mit der Autogas als moderne, preiswerte und zugleich umweltschonende Alternative zu Benzin und Diesel bekannter und noch besser gemacht werden soll. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Saarbrücken und die Fachhochschule Kaiserslautern leisten die wissenschaftliche Begleitung des Projektes, rund ein Dutzend Unternehmen – darunter die Sachverständigenorganisation KÜS – steuern die finanziellen Mittel bei und bieten auch fachliche, organisatorische und auch logistische Unterstützung.

Der Weltrekordversuch ist nur ein Etappenziel beim Projekt v300plus – er soll die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Autogas richten. Kaum war er (wenn auch nicht mit 100-prozentigem Erfolg) abgeschlossen, formulierten die Projektpartner ein neues Ziel: Die Wissenschaftler sollen ein geeignetes Serien-Benzinfahrzeug suchen, es auf Flüssiggas umrüsten lassen und dann so optimieren, dass der CO2-Ausstoß unter 100 Gramm pro Kilometern liegt. Damit würde nach den aktuellen Plänen der Bundesregierung eine Befreiung von der Kfz-Steuer erreicht. Aber auch die anderen Vorhaben werden nicht aus den Augen gelassen: Zum Beispiel die Monovalenz – also der Verzicht auf einen zusätzlichen Benzinbetrieb – wird weiter verfolgt. Das spart Gewicht und gibt gleichzeitig die Möglichkeit, den Motor ausschließlich auf Autogas zu optimieren.

Zurück nach Papenburg: Ein Professor im Rennoverall und seine Studenten ebenfalls – nichts Ungewöhnliches für Dr. Harald Altjohann und Dr. Thomas Heinze von der HTW und Dr. Patrick Klär von der FH. Sie sitzen diesmal nicht in einem stickigen Hörsaal, sondern schrauben in einer Halle auf dem Automobilprüfgelände an einem von Tuner Hartge vorbereiteten 1er BMW.

Die Truppe hat gerade eine Nachtschicht hinter sich. Beim letzten Check am Vorabend des Rekordversuches werden Resonanzen entdeckt. Die Ursache: Eine verschlissene Antriebswelle. Ein Teil, das richtig was aushalten muss, schließlich steckt im 1er der Motor vom BMW M5 mit über 400 PS. Die Welle hat der BMW-Händler um die Ecke natürlich nicht auf Lager. Einige Telefonate später wird man fündig – zu Hause in Saarbrücken. Also machen sich zwei Studenten auf den langen Weg. Einmal Emsland – Saarland und zurück. Mal eben 1.100 Kilometer. Mal eben zwischen 21 und 6 Uhr. Dann wird das Teil eingebaut. Die Resonanzen sind weg. Zufriedenheit in den müden Gesichtern. Der Tag X ist längst angebrochen.

24_X_Projekt_V300_Steilkurve

Altjohann greift wenige Stunden später selbst ins Lenkrad. Erfahrung hat er, ist schon das legendäre 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring mitgefahren. Der zweite Testfahrer heißt Werner Kochems – ein 29-jähriger Kfz-Mechaniker aus Dillingen/Saar und HTW-Student kurz vor dem Diplom. Schon als Neunjähriger fing er mit dem Kartsport an und ist inzwischen auf vielen Rennstrecken zu Hause. Dazu testete er für Pirelli Hochgeschwindigkeitsreifen.

Die beiden wollen es wissen. Mit einer kalibrierten Geschwindigkeitsmessanlage am Heck des 400-PS-Boliden kacheln sie über das 12,3 Kilometer lange Oval mit seinen beiden mit 49,7 Grad überhöhten Steilkurven. Selbst bei 250 km/h könnte man hier noch freihändig fahren. Um exakt 11.10 Uhr, so stellt später der unabhängige Messtechniker Frank Kleemann vom Papenburger Prüfzentrum fest, war der Hartge-BMW 303,6 km/h schnell. Altjohann und Kochems haben damit die 25 Jahre alte Marke von Rennsport-Ass Harald Ertl – 301,4 km/h – geknackt.
Ein neuer offizieller Weltrekord ist’s trotzdem nicht. Denn dazu muss die Teststrecke in beide Richtungen durchfahren werden, um Windeinflüsse auszuschließen. Bevor Kochems und Altjohann auf dem dann komplett gesperrten Oval die Gegenrichtung in Angriff nehmen können, öffnet der Himmel seine Schleusen. «Wenn die Fahrer das jetzt hinkriegen, alle Achtung!» Sagt Wolfgang Knobloch. Der muss es wissen. Seit sechs Jahren ist er auf der Teststrecke im Emsland der Leiter Engineering (Ingenieurwesen) und hat die Steilkurve nach eigenem Bekunden schon mit Tempo 330 gefahren. Mit Benzinmotor und bei schönem Wetter. Jetzt droht Aquaplaning und böse Sichtbehinderung durch Gischt.

Gut 280 km/h. Mehr ist jetzt nicht mehr drin. Der sonst demontierte Scheibenwischer leistet Schwerstarbeit, bietet damit viel zusätzlichen Luftwiderstand und bremst. Keine Wetterbesserung in Sicht. «Wir kommen zu langsam aus der Steilkurve heraus, und selbst auf der Geraden rutscht das Auto hin und her», erläutert der sichtlich enttäuschte Werner Kochems. Doch er und sein Professor sind vernünftig genug, die Segel zu streichen. Obwohl Vorstände und Geschäftsführer der Industriepartner, die Führungsriege des Deutschen Verbandes Flüssiggas (DVFG) und weitere Gäste aus der Automobilindustrie gespannt in einem Zelt am Rande der Strecke warten.

Aber sie alle fühlen mit den Testfahrern. Hochachtung, anerkennendes Nicken, wenn der BMW mit einer riesigen Gischtfahne und viel Lärm an ihnen vorbeidonnert, schon wenig später nicht mehr zu sehen ist. Irgendwie haben sie doch den Weltrekord geholt. Egal ob offiziell oder nicht.

Und die Hochschullehrer und ihre Studenten haben eindrucksvoll gezeigt, welches Potenzial in Autogas steckt. Allein 1 Prozent mehr Leistung brachte die Umrüstung. Durch eine optimale Anpassung an LPG konnte insgesamt ein Plus von zehn Prozent auf 330 kW (449 PS) verzeichnet werden, erläuterte HTW-Professor Dr. Thomas Heinze später. Er hält sogar die Umrüstung von Dieselfahrzeugen auf Flüssiggas für denkbar. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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