Herr Boussard, wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
In meiner Zeit als Ausbildungsleiter saßen mir des Öfteren Jugendliche gegenüber, die keine Perspektive hatten – und entsprechend verzweifelte Erziehungsberechtigte. Durch diese sehr sensiblen Gespräche wurde ich neugierig. Ich wollte herausfinden, wie Gesellschaft «funktioniert». Mit Beginn des Vorruhestandes reifte der Gedanke, meine beruflichen Erfahrungen mit Jugendlichen in einem Buch zu verarbeiten. Zu schreiben habe ich nach einigen Semestern als Gasthörer in der Soziologie und dem Besuch einer Schreibwerkstatt begonnen.
Warum plädieren Sie ausdrücklich für «klassische» Tugenden, auf die man angeblich heutzutage so leicht verzichten kann?
Mit klassischen Tugenden bin ich groß geworden und lebe diese Einstellung vor. Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein haben mir die Abläufe im dualen Studium beispielsweise erleichtert. Normen und Werte bestimmen unseren Alltag. So gehören zum Anforderungsprofil eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes neben Qualifikationen unabdingbar soziale Kompetenzen. Solche Werte werden von Jugendlichen übrigens sehr wohl anerkannt, nachzulesen in der Shell Jugendstudie 2010.
Welche gesellschaftlichen Fehler sehen Sie generell im Umgang mit Jugendlichen?
Die Jugend ist ja angeblich seit Sokrates schon «schlecht». Aber: Grundsätzlich sind Jugendliche so, wie wir Erwachsene sie zulassen. Sie wollen respektiert werden und sie brauchen Unterstützung auf dem Weg in die Eigenständigkeit.
Wo sehen Sie den größten Änderungsbedarf?
Staatliche Bemühungen sind vorhanden, aber die eigentlichen Ursachen bleiben außen vor. Zu viele Eltern vernachlässigen aus unterschiedlichen Gründen ihren Erziehungsauftrag. Es kommt nicht von ungefähr, dass Grundfertigkeiten in der Schule nicht mehr beherrscht werden und vielen Jugendlichen der Ausbildungsplatz durch mangelnde Ausbildungsreife verwehrt wird. Die Gesellschaft und damit jeder Einzelne müssen endlich ihrer Verantwortung gerecht werden.
Welche drei Maßnahmen sähen Sie am liebsten so schnell wie möglich umgesetzt?
Mit einer Entschleunigung des Lebens entstehen wieder persönliche Freiräume und man gewinnt mehr Zeit für Mitmenschen. Individuelle Förderung muss viel früher und gezielter ansetzen. Und: Wir können unsere Freiheit nur bewahren, wenn wir wieder als Gemeinschaft auftreten und dabei alle Menschen respektieren und integrieren.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit jungem Publikum bei Lesungen und Vorträgen?
Junge Menschen nehme ich grundsätzlich ernst und begegne ihnen immer auf Augenhöhe. Damit stoße ich den Dialog an und bin bisher selten enttäuscht worden. Ich freue mich immer auf die Diskussionen im Anschluss an meine Präsentationen. Wenn dann Jugendliche beispielsweise aus einer Fahrrad-AG eine angemeldete Fahrradwerkstatt machen, eine Schulklasse prominente Vertreter der Wirtschaft zu einer Podiumsdiskussion einlädt, oder eine achte Klasse mit ihrer Lehrerin ein soziales Projekt durchführt, finde ich das klasse.