Prof. Dr. Gerrit Manssen, der 1959 im ostfriesischen Leer geborene Lehrstuhlinhaber für Verwaltungsrecht, der von Experten zum «Verkehrspapst» ernannt wurde, hat an der Universität Regensburg promoviert und habilitiert und ist nach seiner Meinung «sozusagen wissenschaftlich ein Regensburger Produkt». Bei der «Beichte» im KÜS-Gespräch ist der 53-jährige Jurist geständig, «ab und zu von der Polizei schon ein 30-Euro-Knöllchen bekommen zu haben, aber noch keinen Punkt in Flensburg.» Für den sympathischen, aber streitbaren Ostfriesen ist aber ein neuer Straftatbestand notwendig: «Deutliches Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit».
Bei einem Vergleich der Bundesautobahnen mit Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, den die Deutsche Hochschule der Polizei durchgeführt hat, wurde festgestellt, dass im Jahr 2010 pro tausend Straßen-Kilometer die meisten Verkehrsteilnehmer auf Autobahnen getötet wurden. Von den insgesamt 430 Menschen, die auf Autobahnen ihr Leben lassen mussten, wurden 284 auf Streckenabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung getötet. «Eine Möglichkeit, die Verkehrssicherheit durch ein Tempolimit zu erhöhen, darf nicht ungenutzt bleiben, wenn man will, dass weniger Menschen schwer verletzt oder getötet werden», unterstrich auch Polizeidirektor Martin Mönninghoff von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster anlässlich des Presseseminars «Recht und Regelbefolgung» in Bonn.
Die Diskussion um Tempolimits auf deutschen Straßen ist inzwischen 106 Jahre alt. 1906 schrieb die Allgemeine Automobil-Zeitung: «Es ist zwar selbstverständlich, dass jeder übertrieben schnelles Fahren missbilligt, jedoch sei auch das plumpe Mittel des Verbots … entschieden zu missbilligen. Eine maximale Geschwindigkeit für die offene Straße festzusetzen, ist kaum zweckmäßig … Vielmehr müsse die Verkehrsdisziplin gesteigert werden und in die Gewohnheit der gesamten Bevölkerung übergehen.»
In Deutschland wurden 1939 die ersten Limitierungen für Außerortsstraßen und Autobahnen erlassen. Zwischen 1953 und 1967 existierten in Deutschland keinerlei Tempolimits, erst ab 1957 wurde das Limit von 50 km/h innerhalb von Ortschaften festgelegt und 1972 Begrenzungen für Außerortsstraßen – aufgrund der steigenden Zahl von Verkehrstoten – eingeführt. Auf den Autobahnen der meisten EU-Staaten gilt ein Tempolimit von 120 oder 130 Kilometer pro Stunde. Deutschland ist das einzige Mitgliedsland, in dem Autofahrer auf vielen Streckenabschnitten noch beliebig schnell fahren dürfen – wenn sie können.
Vielfahrer auf deutschen Autobahnen reiben sich aber immer öfter verwundert die Augen: BMWs auf der rechten Fahrspur, PS-starke Audis, die sich behutsam mit Richtgeschwindigkeit fortbewegen. Auch die Markenzeichen-Stern-Fahrer räumen freiwillig die Überholspur, damit Kleinwagen widerstandslos vorbeiziehen können. Selbst brachiale Cayenne rollen inzwischen friedfertig hinter linkslastigen Lkw dahin, ohne mit der Lichthupe zu zucken.
Die neue Friedfertigkeit unter den vormaligen Herrenfahrern kann ganz banal mit den derzeitigen und wohl weiter steigenden Benzin- und Dieselpreisen zu tun haben. Ganz abgesehen vom Treibstoffsparen hat das Ganze aber noch einen sinnvollen Nebeneffekt. Während der jetzige CSU-Bundesverkehrsminister wie einst der ehemalige SPD-Autokanzler Schröder einvernehmlich mit der deutschen Autoindustrie wacker gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen zu Felde zogen, verlangsamen die PS-starken Autofahrer freiwillig. So zahlen sie den von Professor Dr. Gerrit Manssen geforderten «Erziehungseffekt – höhere Geldstrafen» vorläufig noch an der Tankstelle.