«In Krakau könnte ich mich auf den Markt setzen, zwei Kirchtürme ansehen, ein Stück warmes Brot essen und vergessen, dass es auf der Welt überhaupt noch etwas anderes gibt als Krakau» – so fasste der deutsche Schriftsteller Rolf Schneider bereits Mitte der 1970er-Jahre seine Gefühle für die altehrwürdige Königsstadt an der Weichsel in Worte. Denn wie ein Brennglas verdichtet Krakau, polnisch Kraków, weit über tausend Jahre wechselvolle Geschichte. Und wie ein wertvoller Brillant überrascht die heute rund 750.000 Einwohner umfassende Kultur-Metropole an der Weichsel mit zahlreichen Facetten, die es sich zu entdecken lohnt.
Bereits im 10. Jahrhundert erwähnt das Reisetagebuch des arabischen Arztes Ibrahim ibn Jaqub Krakau als bedeutenden Handelsplatz. Und wer von der Planty genannten Parkanlage, die sich wie ein grüner Gürtel um die Altstadt legt, durch die malerischen Gassen und Straßen zum Marktplatz bummelt, spürt den Reichtum der schon im Mittelalter prosperierenden Stadt. Am beeindruckendsten ist der Weg vorbei an der Barbakane – einer Befestigungsanlage aus dem 15. Jahrhundert, die an arabische Wehrbauten erinnert – durch das Florianstor aus dem 13. Jahrhundert, das einzige bis heute erhaltene Stadttor, wo Künstler ihre Bilder feilbieten, weiter in die Altstadt. Der Marktplatz selbst wird dominiert vom Rathausturm aus dem 15. Jahrhundert und den Tuchhallen – Sukiennice genannt – mit ihren Krämerbuden, die seit ihrer Entstehung im 13. Jahrhundert zahlreiche stilistische Veränderungen erfahren haben. Ebenfalls ein Blickfang ist das Denkmal für Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz. Von einem der beiden Türme der Marienkirche ertönt in der Regel zu jeder vollen Stunde der Hejnał.
Seit über 750 Jahren bläst ein Trompeter diese charakteristische Melodie, die jäh abbricht.
Denn der Legende nach wurde der Turmwächter beim Einfall der Tataren im 13. Jahrhundert von einem Pfeil tödlich getroffen, während er die Stadt warnte. Nach den Tatareneinfällen wurde Krakau im 13. Jahrhundert in der bis heute in der Altstadt erhaltenen Aufteilung wieder aufgebaut: Mit schachbrettartig angelegten Straßen und dem größten mittelalterlichen Marktplatz Europas im Zentrum. 1257 erhielt Krakau das Magdeburger Stadtrecht. Im Innern der Marienkirche kann der weltberühmte Altar von Veit Stoß bewundert werden, an dem der Künstler von 1477 bis 1489 arbeitete. Wer die Gassen der Altstadt besonders stilvoll kennenlernen will, sollte eine der altmodischen Droschken besteigen, die wie Perlen an einer Schnur auf dem Marktplatz aufgereiht sind.
Bereits 1038 wurde Krakau von König Kazimierz Odnowiciel («dem Erneuerer») zur Hauptstadt Polens erklärt und avancierte kurz darauf auch zur Krönungsstätte der polnischen Könige.
1596 löste Warschau Krakau als Hauptstadt, nicht aber als Krönungsort der Monarchen ab.
Dieses Privileg blieb der Stadt bis 1734 erhalten. Als königliche Residenz wurde der Wawel, ein Hügel direkt an der Weichsel, gewählt, wo um das Jahr 1000 auch die Gründung des Krakauer Bistums erfolgte. Heute thronen Kathedrale und Königsschloss wie trutzige Schutzpatrone über dem Panorama der Stadt und zählen wie der Marktplatz zu den wichtigsten Touristenattraktionen. Auch in der jüngeren Vergangenheit spielte der Wawel in der Geschichte mehrfach eine Schlüsselrolle. So war das Schloss während der düsteren deutschen Besatzungszeit von 1939 bis 1945 Verwaltungssitz des sogenannten «Generalgouvernements». Und von 1964 bis 1978 war ein gewisser Karol Wojtyła Erzbischof von Krakau, bevor er als Papst Johannes Paul II. weltgeschichtliche Bedeutung errang. Wadowice, der Geburtsort Johannes Paul II., liegt nur rund 50 Kilometer südwestlich von Krakau.
Dass Krakau die polnische Wissenschafts- und Kulturmetropole schlechthin ist, verdankt die Stadt auch ihrer 1364 gegründeten Universität, der zweitältesten Mitteleuropas. Zu den berühmtesten Köpfen der Jagiellonen-Universität zählt der Astronom Nicolaus Kopernicus, der Ende des 15. Jahrhunderts in Krakau studierte. Zahlreiche weitere staatliche und private Hochschulen sowie wissenschaftliche Institute untermauern die Stellung Krakaus als Wissenschaftszentrum. Darüber hinaus ziehen Leonardo Da Vincis «Dame mit dem Hermelin» im Czartoryski-Museum und das hervorragende Krakauer Theater zahlreiche Kunst- und Kulturliebhaber an.
Ein in den letzten Jahren geradezu aufblühendes Stadtviertel von Krakau ist Kazimierz. 1335 – ursprünglich als eigenständige Ansiedlung – von König Kasimir dem Großen südöstlich des alten Stadtzentrums gegründet und nach ihm benannt, entwickelte sich Kazimierz zu einer überwiegend von Juden bewohnten eigenen Stadt.
Hier, am Originalschauplatz, wurde 1993 Steven Spielbergs Holocaust-Drama «Schindlers Liste» gedreht.
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Kazimierz über 60.000 Juden, heute sind es Schätzungen zufolge weniger als 200. Doch haben sich zahlreiche interessante Zeugnisse jüdischer Geschichte und Kultur, darunter mehrere Synagogen, bis heute erhalten. Jedes Jahr im Sommer findet hier ein «Festival der Jüdischen Kultur» statt. Doch Kazimierz ist auch ein angesagter Szenetreff mit vielen kleinen Clubs und Kneipen.
Zu einem echten Kontrastprogramm entwickelt sich dagegen ein Besuch in Nowa Huta, heute der größte Stadtbezirk von Krakau. Hier begegnet man der kommunistischen Vergangenheit Krakaus und Polens, denn Nowa Huta wirkt wie ein einziges zu Stein gewordenes Monument stalinistischer Stadtplanung. Schon 1949 wurde mit dem Bau der Trabantenstadt im Osten Krakaus begonnen, heute leben hier rund 250.000 Menschen. Nowa Huta wurde als Arbeiterstadt auf dem Reißbrett geplant und in den 1950er-Jahren förmlich aus dem Boden gestampft. 1954 entstand in unmittelbarer Nachbarschaft das größte Stahlwerk Europas, bis heute ein gigantischer Industriemoloch. Daher rührt auch der Name von Nowa Huta, was übersetzt «Neue Hütte» bedeutet.
Krakau besuchen bedeutet, Geschichte im Zeitraffer zu erleben. Deshalb kann man Rolf Schneiders Zitat durchaus als Regieanweisung verstehen. Denn vor der Heimreise empfiehlt es sich, noch einmal kurz innezuhalten. Am besten auf dem Marktplatz. Dort kann man dann zwei Kirchtürme ansehen, ein Stück warmes Brot essen und vergessen, dass es überhaupt noch etwas anderes gibt als Krakau.
Reisetipps
Krakau ist zum Beispiel über die sehr gut ausgebaute Autobahn A4 via Kattowitz (Katowice) und Breslau (Wrocław) Richtung Dresden angebunden.
Außerdem besteht eine Bahnverbindung mit dem EC 240/241 «Wawel» über Kattowitz, Breslau und Berlin bis nach Hamburg bzw. umgekehrt.
Westlich von Krakau liegt der Flughafen Balice, der nach Johannes Paul II. benannt ist. Flugmöglichkeiten gibt es unter anderem von Dortmund, Frankfurt a. M. und München aus. So fliegt zum Beispiel die Günstig-Airline easyJet von Dortmund, während Lufthansa von München nach Krakau startet (www.krakowairport.pl).
Flugmöglichkeiten von Deutschland aus bestehen auch ins rund 100 Kilometer von Krakau entfernte Kattowitz. Germanwings fliegt Kattowitz beispielsweise von Stuttgart aus an (www.katowice-airport.com). Ein kostenpflichtiger Bus-Shuttle von Kattowitz nach Krakau ist möglich.