Als Nicole Clicquot Ponsardin gerade 28 Jahre alt geworden war, starb ihr Mann, der in Reims ein überschaubares Champagnerhaus geführt hatte. Gegen den Willen ihrer Familie beschloss die junge Witwe vor über 200 Jahren, die Schaumweinhandlung weiterzuführen und das Unternehmen auch gleich nach ihrer Vorstellung zu vergrößern. Entschlossen arbeitete die clevere Geschäftsfrau am Ausbau ihres edlen Produkts und setzte gleichzeitig, gemeinsam mit ihrem Champagnervertreter, Signale für die erfolgreiche Vermarktung. Mit Kostproben des perlenden Getränks schickte die schon damals als Grande Dame der Champagne bezeichnete Veuve Clicquot einen eloquenten Rheinländer auf Reisen und eroberte die Märkte Russlands auf friedlichem Weg.
«Lasset sie trinken!», bemerkte sie gelassen, als im Jahre 1815 Besatzungsoffiziere während der Belagerung von Reims den Champagner in ihren Kellern gierig in sich hineinkippten. «Sie werden dann schon bezahlen.»
Wenig später machte die erste erfolgreiche Unternehmerin ihrer Zeit mit dem Rüttelpult
eine bahnbrechende Erfindung. Eigenhändig bewegte Madame Clicquot täglich jede einzelne Flasche. Sie war dem Geheimnis guten Champagners auf die Spur gekommen: Nicht allein die richtige Zusammensetzung, die Assemblage, wie die Franzosen sagen – zu deutsch der Verschnitt – sei für das gute Gelingen entscheidend, versicherte die Perlwein-Expertin. Erst das regelmäßige Rütteln verleihe den edlen Tropfen das besondere Prickeln.
Die im Norden Frankreichs gelegene Region Champagne mit den vier Departements Marne, Haute-Marne, Aube und Ardennen ist die Heimat des Champagners. Der kreidehaltige Boden der Gegend bringt vor allem die drei Rebsorten Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay hervor. Manuelle Lese versteht sich bei den hochwertigen Lagen von selbst. Das ist aber längst nicht das einzige Kriterium, das zur Herkunftsbezeichnung «Appellation d´origine Contrôlée Champagne», kurz AOC führt. Bevor sich ein Champagner mit dem vor rund 80 Jahren eingeführten Gütesiegel schmücken darf, muss die Anzahl an Rebstöcken pro Hektar mit den strengen Vorgaben genau übereinstimmen, ebenso wie die Zusammensetzung der Lagen, die exakt vorgeschriebene Gärung und nicht zuletzt das lange Reifen.
Wandert man durch die schier endlosen Clicquot-Keller, wird man von dem Gefühl beschlichen, ganz Reims stehe auf einem gigantischen, unterirdischen Champagnerlager. In den weitläufigen Kellern des Hauses Pommery, ebenfalls im Untergrund von Reims, scheint daran gar kein Zweifel mehr zu bestehen. Louise Pommery, eine frühe Zeitgenossin der Veuve Clicquot, hatte ebenfalls als junge Witwe unternehmerischen Mut bewiesen. Fast im Handumdrehen war es der beherzten Managerin damaliger Zeit gelungen, die jährliche Produktion der einst bescheidenen Schaumweinhandlung ihres Mannes auf das Zwanzigfache zu steigern. Anschließend machte sich auch Madame Pommery an die Weiterentwicklung ihrer Hausmarke. Aus dem bis dahin eher süßlichen Perlwein kreierte sie einen Brut und revolutionierte somit gleichsam die damaligen Trinkgewohnheiten, die darin bestanden das süße Prickeln zum Dessert zu genießen. Den britischen Bohémiens gefiel die neue herbe Note des Aphrodisiakums, was sich im deutlich höheren Champagnerkonsum in den Salons schon bald bemerkbar machte.
Nach einem Zeitsprung von 90 Jahren stellte Winzerin Lilly Bollinger ihr Durchsetzungsvermögen unter Beweis. Als ihr Mann im Zweiten Weltkrieg gefallen war, stand für die Witwe des Champagnerhändlers fest: Nicht aufgeben, sondern aufstreben. Die großen Pionierinnen des Champagners, die Clicquot und die Pommery als Vorbilder vor Augen, überlegte Madame Bollinger nicht lange und packte beherzt zu. Nichts überließ sie dem Zufall. Von der Traubenernte bis zur Gärung überwachte sie jeden einzelnen Arbeitsgang.
Während der Lese kurvte die ehrgeizige Geschäftsfrau auf ihrem Fahrrad durch die Weinberge, prüfte hier und da die Reben und ließ erkennen, dass ein edler Champagner im Ergebnis ihr höchstpersönlich ein Anliegen war:
«Ich trinke ihn, wenn ich glücklich bin und wenn ich traurig bin, wenn ich allein bin und natürlich in Gesellschaft»,
betonte die leidenschaftliche Liebhaberin des prickelnden Produkts aus eigenem Hause.
Während die berühmten Champagner-Winzerinnen im 18. und 19. Jahrhundert die Not ihres Schicksals dazu brachte, den Schaumweinhandel selbst in die Hand zu nehmen, rücken heute die Champagner-Botschafterinnen aus freier Entscheidung ins Rampenlicht traditioneller Häuser. Die Schwestern Laurent-Perrier etwa oder Virginie Taittinger treten als Marketing-Managerinnen in die Fußstapfen ihrer Väter.
Folgt man der Champagner-Route, trifft man neben den großen, weltweit berühmten Kellereien in den Champagner-Metropolen Reims und der 25 Kilometer südlich gelegenen mondänen Kleinstadt Epernay auch auf bescheidenere Familienbetriebe, in denen Frauen auf dem Vormarsch sind. Auf einen großen Namen lässt etwa der kleine Betrieb von Béatrice Cointreau schließen, die das vor gut 520 Jahren gegründete und damit älteste Winzergeschäft in der Champagne leitet. Auch im Hause Duval-Leroy lenkt eine Frau die Champagner-Geschäfte. Carol Duval-Leroy hat sich die Philosophie ihres vor sechzehn Jahren verstorbenen Mannes zu eigen gemacht und seine Kreation des Sondercuvée «Femme de Champagne» vollendet. Beim Genuss des hellrot im Glas prickelnden Perlweins fragt man sich, ob der einstige Herr des Hauses mit dem Etikett andeuten wollte, dass Frauen die Männerdomäne allmählich erobern würden.
Sandrine Logette hat darüber erst gar nicht nachgedacht. Selbstbewusst wacht die Önologin über die verschiedenen Kredenzen im Hause Duval-Leroy. In Reims hat die 39-Jährige Weinbaukunde studiert und sich seitdem als eine der wenigen Frauen des Faches in der gesamten Region behauptet. Ihr Arbeitsplatz, an dem die Mutter von zwei Kindern mit Spürnase und Sachverstand streng nach der geschützten «méthode champenoise» vorgeht, strahlt den wenig romantischen Charme eines Chemielabors aus. «Champagner ist ein Luxusprodukt,» sagt die charmante Kennerin lächelnd. «Und das muss perfekt sein.» Bei aller Wissenschaft vergisst Sandrine aber nie die sinnliche Seite:
«Einen Champagner zu kreieren ist für mich, als würde ich für gute
Freunde kochen»,
schwärmt sie. Und sie lässt sich den prickelnden Tropfen schmecken, «tout le temps», zu jeder Zeit. «Man braucht nicht viel, um sich angeregt zu fühlen». Das kann die Önologin gewissermaßen chemisch nachweisen.
Informationen
Entlang der 220 Kilometer langen Champagner-route öffnen über 70 Winzer ganzjährig ihre Kellertüren für Besucher. Einige Champagner-Häuser haben auch kleine Museen und gemütliche Probierstuben eingerichtet.
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