Autopioniere im Südwesten


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1945 – Kriegsende. Es keimt Hoffnung im zerstörten Deutschland. Die Menschen sehnen sich nach Freiheit, nach Mobilität. Es schlägt die Stunde von Technikern, Ingenieuren, oft kommen sie aus der Flugtechnik. Als die Großen der Branche Anfang der Fünfziger den Automarkt wieder beherrschen, müssen die Außenseiter aufgeben. Ihre Verdienste allerdings sind für die Ewigkeit

 

Verrückt, verpönt, vergessen – das gilt nicht nur für Gottlob Espenlaub (KÜS Magazin 62), sondern auch für eine der vielseitigsten und schillerndsten Persönlichkeiten der württembergischen Automobilgeschichte: Egon Brütsch, kein Automobilkonstrukteur, kein gelernter Ingenieur. Brütsch ist Sprössling eines reichen Textilfabrikanten aus Stuttgart. Man kennt ihn, als Rennfahrer, der mit seinem Maserati für wichtige Wettbewerbe trainiert, mitten in der Stadt, oft mitten in der Nacht.
Um das Hobby zu finanzieren, tauscht Brütsch Damenstrümpfe aus der väterlichen Textilproduktion gegen Autoteile ein. Ende der 1940er-Jahre hört er mit dem Rennsport auf. Brütsch baut stattdessen den Maserati im Kleinformat mit 36-Kubik-Hilfsmotor. Das Projekt: ein Flop. Nach dem Krieg haben die Deutschen andere Sorgen, als 750 Mark an Kinderspielzeuge zu verschwenden.
Brütsch wagt sich unterdessen an richtige Autos, einfach, preiswert. Es entsteht ein Prototyp, ein Einsitzer noch ohne Blechkleid, mit Rädern von der Sackkarre, Motor von der Baumsäge. Es gibt auch eine Variante mit Karosserie, doch das Autochen findet wenig Anklang, trotz der netten Damen im Prospekt.
Investoren springen ab, weil sie hohe Kosten für die Blechpressen scheuen.

Doch Brütsch lässt sich nicht entmutigen. Er will das leichteste Auto der Welt bauen, aus einem Werkstoff, der in der Autoindustrie kaum erprobt, aber im Kommen ist, weil er Herstellungskosten senkt. Kunststoff. Brütsch beschafft sich, beseelt von der Idee, 70 Kilo Kunstharz. In der elterlichen Garage macht er sich mit ein paar Helfern ans Werk. Es entstehen ultraleichte, abenteuerliche Karosserien, mit Ober- und Unterhälfte, wie Schokoladeneier und sogar mit Platz für drei Personen.
Eines der wenigen Brütsch-Fahrzeuge, das heute noch existiert, besitzt ein Privat-Sammler aus Nürnberg. Es ist eines jener fahrenden Eier des schwäbischen Tüftlers, das einzige seiner Art, das überlebt hat. Der Brütsch-Zwerg, Mitte der Fünfziger das billigste und – da aus Kunststoff – leichteste Kleinauto der Welt, wahrscheinlich auch eines der Schlechtesten.
Gestartet wird mit Seilzug wie beim Rasenmäher, der hat ähnlich viel PS. Fahren darf Besitzer Peter Dipold nur auf seinem Hof. Zulassen durfte man den Zwerg nie, schon im Neuzustand nicht, weil ein paar Dinge fehlen. Scheinwerfer zum Beispiel: die Augen vorne – nur Attrappen! Egon Brütsch hatte dieses Dreirad offenbar nie richtig zu Ende gebaut, auch das war für den Autopionier typisch.
Vier Exemplare soll Egon Brütsch vom Zwerg gebaut haben. Peter Dipold hatte es im Lager eines Pforzheimer Karosseriebetriebes aufgespürt, in einem bedauernswerten Zustand, aber immerhin komplett.
Der Zwerg ist eines dieser Kleinstautos, an denen Brütsch in den Fünfzigern erstmals sein Kunststoff-Konzept erprobt. Die Kunstharz-Konstruktion entpuppt sich als scheinbar robust. So robust, dass der Erfinder die Radaufhängungen direkt mit der Karosserie verschraubt. Ob das verkehrssicher ist, wird nie geprüft. Bei Testfahrten brechen die Achsen aus der GFK-Hülle. Lizenznehmer springen ab. Auch dieses Projekt: ein Flop.
Jeder andere Autokonstrukteur hätte vermutlich das Handtuch geworfen, nicht Egon Brütsch. Mit unbeirrtem Eifer entwickelt der Schwabe ein Fahrzeug nach dem anderen. Nach dem leichtesten Mobil der Welt auch das kleinste, die Mopetta. Aufs Autodach geschnallt, schleppt er seine Fahrzeuge auf Automessen. Doch angesichts der profanen Technik seiner Fahrzeuge versackt das Interesse schnell.
Als bei Testfahrten der Motorpresse eine Brütsch-Konstruktion in Flammen aufgeht, ist der Ruf des Konstrukteurs vollends ruiniert. Im Herbst 1958 gibt Brütsch den Fahrzeugbau auf. Alles vorbei? Keineswegs!


Brütsch bleibt Form und Material treu, konstruiert Anfang der Sechziger das Kunststoff-Haus aus der Kiste, ein Fertighaus in Kugelform, kurios, aber erfolglos. Eine Handvoll, sagt man, wurden verkauft, einige als Kassenhäuschen von Minigolfanlagen zweckentfremdet. In den Achtzigern ist Brütsch endgültig bankrott. Vom üppigen Erbe nichts mehr übrig. Brütsch lebt in den letzten Tagen bescheiden und einsam in einer Garage gleich neben seinem Musterhaus. Dort stirbt er 1988. Als Pionier im Kunststoffbau hat sich Egon Brütsch für die Autoindustrie wohl für immer unsterblich gemacht.

Fotos Thorsten Link

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