Beaujolais – auf den Spuren des Primeur


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Im beschaulichen Beaujolais-Gebiet, das sich mitten in Frankreich zwischen M?con und Lyon über gerade mal 50 Kilometer erstreckt, beginnt alljährlich Mitte November der Countdown. Am dritten Donnerstag um Mitternacht fällt dann der Startschuss: Der junge Wein aus den Lagen des Beaujolais und Beaujolais Village darf offiziell entkorkt werden – und das fast zeitgleich rund um den Erdball.

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Verbummelt man im frühen Herbst, wenn die Sonne Dörfer und Rebhänge im Beaujolais in warmes Licht taucht, zwei, drei Tage in dem beschaulichen Landstrich im Herzen der Grande Nation, weist nichts darauf hin, dass sich in der ländlichen Ruhe jemals auch nur ein Hauch von Hektik ausbreiten könnte. Die träge dahinfließende Saône begrenzt die bodenständige Region im Osten, während im Westen bis zu 100 Höhen – meter ansteigende Hügel mit mächtigen Nadelbäumen und weiten Viehweiden an eine Voralpenlandschaft erinnern. Für den Weinanbau ist die launige Topografie zwischen Gebirgslandschaft und Flusstal geradezu ideal. Die mitunter rauen Westwinde werden von den Bergen ausgebremst und die lauen, mediterranen Lüfte vom Südosten können sich ungehindert ausbreiten.

Jedes Dorf im Beaujolais hat einen quadratischen Platz mit einer Mairie (Rathaus), einem Kriegerdenkmal davor, rundum kleine Läden und viele Probierstuben. Hier treffen sie sich regelmäßig, die Genießer, die sich selbst als die wahren Franzosen sehen. Der Lyoner Schriftsteller Gabriel Chevalier hat sie in seinem Roman «Clochemerle» ziemlich selbstkritisch charakterisiert: Ein bisschen schlau, leicht beschränkt, sinnlich, ziemlich wohlhabend und unausrottbar menschlich seien seine Landsleute, schrieb der Bonvivant. Erlebt man die «Clochemerler», wie sie in den gutbürgerlichen Restaurants oder in den zahlreichen Bistros die vorwiegend deftigen Spezialitäten genießen, dazu den jeweils passenden Wein aus der Umgebung fast hörbar die Kehle hinunter rinnen lassen und dabei lebhaft gestikulierend über das Tagesgeschehen diskutieren, hält man diese Selbsteinschätzung kaum für übertrieben.

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Der Beaujolais-König

Ohne jeden kulinarischen Klimbim kultivieren die eigenwilligen Genießer ihre Liebe zur guten Küche. Und dazu gibt es immer genügend Wein. Ein Bruchteil jedoch gegen die Mengen, die jedes Jahr im Spätherbst innerhalb Europas und nach Übersee exportiert werden. Die meisten Flaschen des kirschrot funkelnden Primeur schickt der Weingroßhändler Georges Dubœuf auf die Reise. Deshalb nennen ihn hier alle den «Beaujolais-König». In dem aufgeräumten Winzerdorf Romanèche-Thorins, direkt an der N6, hat sich der über 70-Jährige, drahtige Geschäftsmann vor gut vier Jahrzehnten niedergelassen und peu à peu ein Netz an Lieferanten aufgebaut. Doch der junge Dubœuf musste sich erst mühsam einen Namen schaffen bei den Restaurants im Umkreis. Anfangs fuhr der studierte Sportlehrer per Fahrrad über die Dörfer, immer mehrere Bouteillen der neuesten Ernte in den Satteltaschen. So nahm der Quereinsteiger Kontakt mit den Gastwirten und Köchen auf und schloss bisweilen auch Freundschaft mit den ganz Großen der Zunft, allen voran der legendäre Paul Bocuse. Die Strategie des Jungwinzers von damals hat sich längst bezahlt gemacht. Heute steuern in den ersten beiden Novemberwochen zahllose Vierzigtonner die Laderampen seiner Großkellerei an, um anschließend voll beladen in alle europäischen Länder auszuschwirren oder am Lyoner Flughafen für den fernen Handel umzuladen.

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Ein Wein für die Geselligkeit

Kaum ein anderer Wein hat es so eilig, vom Rebstock in die Flasche zu kommen, wie der Beaujolais Primeur. Sechs Millionen Liter werden nach vierwöchiger Blitzgärung in mächtigen, Computer gesteuerten Stahltanks in Flaschen abgefüllt. Da breitet sich ohrenbetäubendes Klirren aus, wenn in den riesigen Hallen stündlich bis zu 60.000 Flaschen durch die einzelnen Abfüllstationen rattern. Auf der Strecke bleibt dabei allerdings die Winzerromantik. Und selbst der sonst so strapazierfähigen Gamay-Traube bekommt die gnadenlose Hektik nicht sonderlich gut. Der Beaujolais Nouveau, wie man ihn hier nennt, sei eben ein spritziger Junger für die Geselligkeit, beschwichtigt der eloquente Exportchef aus dem Hause Dubœuf. «Ein süffiger Tropfen, wie ein Mädchen, das flirtet und danach alles vergisst», lächelt der Genießer hinter seinem aufgezwirbelten Schnauzer und ergänzt: «Man hat Spaß mit dem jungen Wein, aber man darf ihn nicht zu ernst nehmen». Wie so oft liegen auch im sonst ziemlich verschlafenen Romanèche-Thorins die Gegensätze nah beieinander: Das ungewöhnliche Wahrzeichen des Dorfes, nämlich die Windmühle, ist Pate des renommiertesten Weines der Gegend, dem Moulin-à-Vent. Und an den Hängen des nahen Mont de Brouilly gedeihen die edlen Reben, die man später an der Bezeichnung «Cru du Beaujolais» erkennt.

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Klasse statt Masse

Die kleineren Winzer im Beaujolais-Gebiet lassen sich Zeit bei der Lese, und vor allem ihren Trauben bei der Entfaltung. Für sie hat der Primeur wenig Bedeutung. Das sei damals ein genialer Marketing-Coup gewesen, den es so nicht mehr gibt. Viele Weinbauern setzen inzwischen auf ökologischen Anbau, denn mit Masse, so George Gauthier, kann man heute nicht mehr punkten, nur noch mit Qualität. «Klar ist das nicht gerade leicht», erklärt der junge Kellermeister. Deshalb vermieten auch immer mehr Winzer, ebenso wie Gauthier, Zimmer und Ferienwohnungen auf ihren Weingütern. In der familiären Atmosphäre kann man gleichzeitig seine Französischkenntnisse auffrischen; der Fachsimpelei in Sachen Önologie steht dann nichts mehr im Weg. Man erfährt etwa, dass die besten Weine in den nördlichen Hügellagen wachsen, frei nach dem alten Sprichwort: «Der Beaujolais gedeiht dort am besten, wo er auf Granit beißt.»

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Doch die Natur ist gerecht. Und so hat sie ihre Schätze gleichmäßig über den ganzen Landstrich ausgebreitet. Durchquert man die sanftere Hügellandschaft im Süden, fühlt man sich an die Toskana erinnert. Das «Pays des Pierres Dorées», das Land der Goldsteine mit den warmen Farben der malerischen Dörfer, den Kalksteinhäusern in Ocker und Rosa, strahlt eine südländisch-behagliche Atmosphäre aus. Wie im Wettstreit um das schönste Dorf übertreffen sich die Ortschaften gegenseitig mit ihren blumengeschmückten Häusern. Mit schier überschwänglicher Blütenpracht sind auch die Plätze herausgeputzt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Besonders die ausgedienten Waschhäuser in der südlichsten Ecke des Beaujolais eignen sich für die kreativ-bunten Arrangements. Fast hat man den Eindruck, als wollten die Leute damit beweisen, dass auch bei ihnen Beachtliches gedeiht, wenn sich die Weinreben schon derart rar machen auf ihrem Grund und Boden. Gerade noch als Tafelwein taugen die kärglichen Rebstöcke und – nun ja, als Primeur.

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