Sascha Scholz blickt den Prüfling kritisch an: Wie geht jetzt bloß die Fahrertür auf? „Damit fängt das nämlich schon an bei den Klassikern“, sagt der KÜS-Ingenieur mit ironischem Lächeln und nestelt am Schlüsselbund.
Gemeint ist: Scholz und seine Kollegen werden bei den H-Prüfungen mit technischen Spezifikationen und Details konfrontiert, auf die sich selbst der passionierteste Oldtimer-Fan niemals umfassend vorbereiten könnte. Zu komplex und umfangreich ist die Autogeschichte der letzten 60 Jahre mit ihren diversen Marken, Typen, Modellpflegen und zahlreichen technischen Sonderwegen. Und so sind schon bei der ersten Untersuchung Experimentiergeist und Lernbereitschaft des Prüfers gefragt.
Es dauert auch nur ein paar Augenblicke, bis der sympathische Berliner den passenden Schlüssel für die Fahrertür gefunden und ihn falsch herum – mit dem Bart nach oben – ins Schloss gefingert hat.
Das Auto in der Halle, ein weißes Mercedes-Benz Cabriolet 220 A aus den 1950er-Jahren, soll zur H-Kennzeichenprüfung. Natürlich hätte Scholz auch den Eigentümer fragen können, aber der ist nicht anwesend.
Er hat seinen blitzenden Schatz im Prüfzentrum nur abgestellt, damit ein KÜS-Prüfingenieur den Kandidaten schon mal eingehend unter die Lupe nehmen kann. Die eigentliche Abnahme wird dann gesondert durchgeführt. Zwei Termine für das Oldtimer-Gutachten sind durchaus üblich: „Wir legen unseren Prüfern nahe, Oldtimer-Prüfungen nicht mit der Laufkundschaft durchzuführen“, sagt Stefan Ehl, Oldtimer-Experte von der KÜS. Im Idealfall findet erst eine Vorführung statt, in der das Fahrzeug nur gezeigt und eine Dokumentation – sofern vorhanden – übergeben werden soll. Die eigentliche Prüfung erfolgt dann nach Terminabsprache.
Die Prüfer sind ohnehin auf die Vorbereitung des Halters angewiesen: Hat der den Lebenslauf, Restaurierungen und gravierende Änderungen bzw. Umbauten aufgelistet und im Idealfall durch Dokumente belegt, steht einem reibungslosen Ablauf der Prüfung nichts im Weg. 4.418 strahlende Gesichter – so viele Oldtimerbesitzer wurden im vergangenen Jahr glücklich gemacht, als ihre Auto-Schätzchen die begehrte H-Zulassung erhielten. Und noch viel mehr träumen davon, einmal einen Klassiker mit dem „H“ auf dem Kennzeichen ihr Eigen zu nennen: Laut einer aktuellen Umfrage wollen sich 6% der Autofahrer in Deutschland einen Oldtimer kaufen. Natürlich muss der verkehrssicher wie ein Neuwagen sein. Maßgeblich ist, dass alles korrekt funktioniert wie bei einem Auto dieser Baureihe. Und: Ein H-Bewerber muss authentisch sein. „Man kann grob einteilen in Alltags-Klassiker, die sich technisch nicht wesentlich von heutigen Produkten unterscheiden, dann geht es mit der Abnahme meistens schnell und Exoten.“ Und bei denen muss grundsätzlich der Halter die Originalität nachweisen. Stefan Ehl: „Das betrifft An- und Umbauten, Tuning, aber auch Reparaturen.“
Ist Tuning also verboten? Nicht ganz: Handelt es sich um zeitgenössisches Tuning, kann auch das historisch bedeutsam und also schützenswert sein. „Das betrifft zum Beispiel bestimmte Felgentypen, etwa die bekannten Fuchs-Felgen beim „klassischen“ Porsche 911 – die sind eigentlich nicht Serienumfang, wurden aber von vielen Besitzern umgehend nachgerüstet.“ Wegen deren Popularität kann man sich ihn heute ohne Fuchs-Felgen kaum vorstellen. Auch werksseitiges Tuning sei kein Ausschlussgrund, wie es zum Beispiel bei vielen Cabrios in den 1970ern angeboten wurde.
Wer nachweist, dass Umbauten oder Sonderausstattung an seinem Klassiker in der damaligen Epoche möglich und üblich waren, hat schon halb gewonnen. Das gilt sogar für eine Autogasanlage: In den 1960er-Jahren wurde tatsächlich bereits mit Frühformen von mit Flüssiggas betriebenen Motoren gefahren. Schön für Eigentümer von durstigen Benzinern, die auf legale Weise den Verbrauch drücken können und damit sogar noch etwas für die Umwelt tun. Denn zwei Joker gibt es sowieso bei der H-Prüfung: Für die Sicherheit und die Umwelt kann die zeitliche Hürde außer Kraft gesetzt werden. So ist die Nachrüstung von Gurten und Kopfstützen oder der Umbau von 6- auf 12-Volt-Elektrik kein Grund, das H-Kennzeichen zu verweigern.
Ein Streitfall sind oft Austauschmotoren. „Wenn der Motor zu der Modellreihe passt, also ursprünglich dafür vorgesehen war, kein Problem.“ Doch ein Diesel im Sportcoupé zum Beispiel wäre ein Problem, selbst wenn der Selbstzünder grundsätzlich dort hineinpasst und der Motor von demselben Hersteller stammt. „Wenn der Halter nachweisen kann, dass es so was gab, gut für ihn.“ Es gibt aber noch ein weiteres Schlupfloch: versteckte Anachronismen.
„Was man nicht sieht, wird in der Regel weniger ins Gewicht fallen“, sagt Stefan Ehl. Das betrifft zum Beispiel Einbauten im Motorraum, die dem Betrachter von außen gar nicht auffallen können. „Vorkriegs-Autos haben zum Beispiel häufig einen nachgerüsteten elektrischen Ventilator, um den Motor bei Stop-and-Go zu kühlen“, sagt der KÜS-Ingenieur. Ohne solche Krücken wären die meisten dieser Konstruktionen im heutigen dichten Straßenverkehr nicht mehr einsatzfähig.
Ganz anders die „geburtenstarken“ Auto-Jahrgänge der 1980er-Jahre, die alltagstauglich und vollgastfest sind, wie Neuwagen unserer Zeit. Dank guten Rostschutzes und sehr haltbarer Motoren sind diese Autos unserer Kindheit noch massenhaft vorhanden und warten auf die entsprechend vielfache Zuteilung des H. Ist also in den nächsten Jahren mit einer Flut von neuen Anwärtern auf ein H-Kennzeichen zu rechnen?
„Und wenn schon – spätestens mit dem großflächigen Einsatz von Elektronik wird die Haltbarkeit dieser Fahrzeuge erheblich nachlassen, denn diese Bauteile haben einfach eine sehr eingeschränkte Lebensdauer“, sagt Stefan Ehl. Das betreffe nahezu alle Konstruktionen ab Mitte der 1990er. Und natürlich bedeutet die Zuteilung eines H-Kennzeichens auch nicht, dass es für alle Zeiten uneingeschränkt geführt werden kann.
„Ein Oldtimer muss genau so wie jedes Auto alle zwei Jahre zur Hauptuntersuchung, und da kann er das H-Kennzeichen natürlich auch sehr schnell wieder verlieren.“ Veränderungen können die Zulassung bedrohen, aber auch ein schlechter Pflege- und Wartungszustand führt zur Aberkennung des H-Kennzeichens. Fazit: Auch Oldtimer müssen irgendwann sterben.
Beim Mercedes-Cabrio im Tegeler Prüfzentrum ist das natürlich kein Thema: Der Wagen wurde kürzlich restauriert und glänzt im sattesten Lack. Doch dass nicht alles Gold ist, was glänzt, merkt der Prüfer schon beim kritischen Blick unter das Auto.
Denn an Ölwanne und Differenzial glitzert es buchstäblich golden: Der Ölfilm an der Unterseite der Baugruppen ist so dick, dass sich bereits Tropfen bilden. „Nicht schön“, befindet KÜS-Ingenieur Sascha Scholz, aber: „Bei diesen Vorkriegs-Konstruktionen ist wirklich was dran an dem Sprichwort: ‚Wenn es nicht ölt, ist kein Öl drin!‘“