Borgward stand sinnbildlich für die gesamte junge Bundesrepublik Deutschland, die zwischen Nierentisch und Petticoat den Weg zu neuer wirtschaftlicher Größe und internationalem Ansehen fand. Doch vor genau 50 Jahren, im Jahr 1961, ging Borgward in die Insolvenz. Und in Bremen, dessen größter Arbeitgeber der 1890 geborene Unternehmer war, verloren auf einen Schlag 20.000 Menschen ihren Arbeitsplatz.
Borgwards Produkte waren die Traumwagen der Wirtschaftswunder-Bourgeoisie. Fahrzeuge wie die «Isabella», vor allem als Coupé, waren eigentlich mehr für den Laufsteg als für die Straße geschaffen. Der mitunter recht ruppige und mit wenig Umgangsformen gesegnete Hanseat pflegte seine Modelle selbst zu entwickeln: Die ersten «Rohlinge», so ließ einer seiner wenigen Vertrauten später einmal durchblicken, habe der Chef mit einer Portion Knetgummi und einem Brotmesser selbst entworfen. Demzufolge muss der Mann ein Genie an Vorstellungskraft gewesen sein. Wie sonst könnte es sein, dass sich seine Produkte wie etwa das knatternde Dreirad «Goliath» oder der «Lloyd», der später als «Leukoplastbomber» in die Automobil-Historie einging, in ihrer Blütezeit wie «geschnitten Brot» verkauften.
Der gebürtige Hamburger Borgward wuchs bald zum größten Arbeitgeber und zu einem mächtigen Mann mit viel Einfluss im öffentlichen Leben heran. Er galt im Reigen der großen Automobil-Konzerne, deren Werke und Dependancen sich rund um den Globus zerstreuten, als Patriarch, mit all seinen Stärken (kein «Verwaltungs-Wasserkopf», Überschaubarkeit der Abläufe), aber auch Schwächen (kaum Testversuche, Meinungsmonopol des Firmeninhabers). Den genialen Tüftler störte es auch nicht, dass mitunter über seine Erzeugnisse hergezogen wurde. Im Gegenteil,
Sprüche wie «Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd» machten ihn eher stolz.
Seine Testpersonen waren seine Kunden. Und damit fuhr er offensichtlich gut. Zumindest viele Jahre lang.
Borgwards Schwäche waren die mangelnde Fähigkeit, andere in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen und wirtschaftlich visionär zu denken, um notwendige Absicherungsmodelle zu installieren. Technisch allerdings war er Avantgardist, was leider nur allzu oft in Vergessenheit gerät. Schon ein halbes Jahrzehnt vor dem ersten Mercedes baute Borgward ein Fahrzeug in Pontonform. Und bereits 1951 bot er das erste Automatikgetriebe in der deutschen Mittelklasse an, die «Hansamatic». Das Teil war allerdings nicht ausgereift, verlor Öl und verschwand wieder in der Versenkung.
Das jähe Ende des Familien-Imperiums kam ebenso unnötig wie unerwartetzu Anfang der 60er-Jahre. Borgwards Modellpolitik verzettelte sich in seinem Firmen- und Namendurcheinander. Er investierte in Marktsegmente, die schon von den «Großen» wie BMW, Opel oder Mercedes besetzt waren. Durchaus vorzeigbare Fahrzeuge, wie etwa die «Arabella», erwiesen sich als Ladenhüter. Seine kaufmännische Sturheit hatte auch zu einer schlechten Zahlungsmoral bei Lieferanten und zu mangelndem Eigenkapital geführt. Borgward brauchte Kredite. Erst geringe Summen, dann immer mehr bis in den hohen zweistelligen Millionenbereich. Was vor 50 Jahren andere Dimensionen waren als heute.
Die Politik in Gestalt von Kanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Erhard beriet sogar über mögliche staatliche Hilfen, für die sich beide Staatsmänner aber nicht entschließen konnten. Und so kam es, wie es kommen musste. 1961 ging das Unternehmen in Insolvenz.
Carl F. W. Borgward knetete und formte noch zwei Jahre zu Hause in der Stube Autos. Für sich, nicht für die Nachwelt. Nur zwei Jahre nach dem Ende seines Familien-Unternehmens starb er 1963 mit 73 Jahren.