Kein Name hat je besser zu einem Unternehmen und dessen Produkten gepasst als dieses Kürzel. «MUH» steht auf den großen Tanklastern der Milch-Union Hocheifel, mit denen das kostbare weiße Rohmaterial beim Bauern abgeholt und zur Produktionsstätte gebracht wird. Mit einem dieser Fahrer wollte ich heute als Sozius einen Tag auf dem «Bock» eines Milchsammellasters verbringen. Im nördlichen Luxemburg, in den entlegensten Winkeln des kleinen Großherzogtums im Herzen Europas. Aber der Reihe nach.
Karsten, dessen Tour ich heute bis zum frühen Abend mitfahren darf, ist ein Mann der Tat. Und vor allem: er weiß die wichtigen Dinge von den unwichtigen zu unterscheiden. Deswegen lautet seine erste Frage an mich, bevor es losgeht: «Kaffee?» – «Logo!» Mit dem wärmenden Becher in der Hand mache ich es mir auf dem Beifahrersitz des 440-PS-starken MAN-Dreiachsers bequem. Zuerst ein Stückchen Autobahn A60, dann quer durch die Westeifel in Richtung Luxemburg. Kontrolliert wird an den dortigen Grenzübergängen im Schengen-Zeitalter kaum noch.
Seit 2000, erzählt Karsten (36), ist er als Tankwagenfahrer im Milchsammeltransport für die MUH unterwegs. Er ist ein Auto-Mensch, Techniker durch und durch. Ein gelernter Autoschlosser, was man heutzutage Mecha-troniker nennt. Eine Zeit lang Autoverkäufer, aber: «Ich wollte schon als Kind Lkw-Fahrer werden.» Als die MUH damals Fahrer suchte, stand Karsten auf der Matte. Seitdem ist er unterwegs. Fährt Tag- und Nachtschicht. Mal Sonntag, mal Werktag. Und Weihnachten oder Neujahr? «Klar, warum nicht. Zeig mir eine Kuh, die sagt, heut‘ brauchst Du mich nicht melken. Heut‘ ist Weihnachten. Ich kenne keine». Und dennoch: missen möchte er dieses Leben nicht, sagt er auf dem Weg zum ersten Hof. «Ich bin mein eigener Herr, ich habe meine Route. Ich habe auch viel Verantwortung, aber der zeitliche Druck ist nicht so unmenschlich wie oft bei den Kollegen im Fernverkehr.»
Ich blicke hinaus. Im riesigen Rückspiegel des schweren Dreiachsers mit Hänger färbt sich der Horizont an der Schwelle der scheidenden Nacht zum werdenden Tag in einem wunderschönen Farbkaleidoskop. Zartes Rosa. Leichte, flirrende Streifen in lila und violett. Kaum Wolken am Himmel. Das lichte, erste Grün der Wiesen am Straßenrand ist leicht überzuckert. Wir sind so gut wie alleine. Die Luxemburger Schweiz in einer Morgenstimmung, die alleine schon den Gedanken an das Wort «Arbeiten» unter Strafe stellen möchte.
Wir halten zum ersten Mal. Karsten stellt den Hänger ab, dann geht es zum ersten Hof. «Um die 15 bis 20 Höfe fahren wir heute ab», verrät er. Karsten kennt die kleinen verwinkelten Sträßchen und Feldwege dieser Mittelgebirgslandschaft. Er kennt auch die Leute, die dort oft im Familienbetrieb ihren Lebensunterhalt verdienen. Nicht wirklich das, was man «easy going» nennt. Knochenarbeit. «Mit dem einen hat man eher Kontakt, mit dem anderen weniger, Kommt auch drauf an, wann ich da bin.»
Milch beim Bauern abholen, das merke ich bald, ist Industrie-Fron. Von wegen Feld- und Hofromantik mit Milchkanne, winkender Bäuerin mit rosaroten Wangen und schnurrender Miezekatze um die Beine. Aus dem kalten Bauch des silbernen MAN schlängeln sich dicke, schwere Schläuche, die Karsten an den großen Sammelbehälter des Hofes anschließt. Mit höchsten Drücken schießt die Milch in eine der drei Kammern unseres Fahrzeugs. Bei dem größten Landwirt holen wir heute auf einen Schlag über elftausend Liter Milch ab. Die sind in bestenfalls 15–20 Minuten umgefüllt. Karstens Milchtransporter ist ein halbes Laboratorium. Auf dem Display kann er Füllmenge, Ladedruck, Fülldauer und weitere Werte erkennen und abrufen. Von Zeit zu Zeit nimmt er Proben ab, anhand derer später im Werk die Qualität bestimmt wird. Wir haben Glück heute. Es regnet nicht, Klein-Sibirien ist das nördliche Luxemburg auch nicht. Aber wenn es so richtig saut vom Himmel runter, und wenn es dann noch dunkel ist, und man ständig raus und rein aus dem Lkw muss, so kann ich mir lebhaft vorstellen, dann ist das eine richtige Sch… Arbeit für Karsten.
Für den aber gibt es offenbar nichts Schöneres. Der Begriff «mein Auto» fällt mehr als einmal an diesem Tag. Nachts sei er lieber unterwegs. Auch weil es da ruhiger sei. Aber er habe immer ein gutes Gefühl. «Weil bei uns Wert drauf gelegt wird, dass wir anständige Autos unterm Hintern haben.» Eine eigene Werkstatt hat die MUH in Pronsfeld, kleinere Dinge erledigt Karsten unterwegs auch mal allein. Schließlich hat er das Handwerk gelernt. «Und wenn einer aus der Werkstatt rauskommen muss, dann hängen auch die Kollegen in der Luft, die nach mir kommen». Karsten weiß: «Der Lkw muss brummen.»
Auf 130.000–150.000 Kilometer pro Jahr bringt es so ein MAN. «Man bekommt im Lauf der Jahre ein Gefühl für das Auto», sagt Karsten. Er merke schon, wenn die Kammern etwa halbvoll seien. «Das schwappt dann richtig, dann schaukelt er sich auf.» Karsten ist ein Meister seines Fachs. Zentimetergenau fährt er den dicken «Bock» auf Anhieb rückwärts in eine Scheune. Direkt neben die Sammelstelle. Als ich das anerkennend anmerke, meinte er nur lakonisch: «Loben hättest Du mich dürfen, wenn der Hänger noch dran gewesen wäre.»
Längst nicht jeder Tag verläuft so harmonisch und ohne Zwischenfälle wie heute. 2010, der 23. Dezember. Den wird er nicht vergessen. Eisregen in der Eifel, spiegelglatt, nichts ging mehr. Auch Karsten und «sein Auto» zog es in den Graben. «Fünf Stunden hab ich da gewartet. Ein Bauer hat mir angeboten, mitzukommen und bei ihm auf der Couch zu warten. Aber ich wollte mein Auto nicht allein lassen.»
«Mein Auto.» Da ist es wieder. Unterwegs spritzt er auf einem Hof «sein Auto» noch tüchtig ab. «Der Kollege nach mir will auch keine Dreckschleuder haben.» Auf eines legt er Wert: «Wir transportieren schließlich Lebensmittel. Das soll man den Autos auch ansehen.» Knapp 50.000 Kilometer ist er als «MUH-Botschafter» im Jahr unterwegs. Die Lkw kommen auf eine Kilometer-Leistung von ca. 500.000–530.000 in vier Jahren. Um die Mittagszeit macht Karsten die vorgeschriebene Pause, isst zwei belegte Brötchen. Dann fragt er: «Und wie machst Du es mit dem Essen?» Verschämt murmele ich irgendwas von «heute abend essen» oder so ähnlich. Bis ich zugebe: «Ich hab‘ mir heute morgen noch zwei Brote geschmiert, sie dann zu Hause aber liegen lassen.» In seinen Augen liegt eine ganze Welt voller Fragezeichen, so als wolle er sagen: «Was haben sie mir denn da für einen Komiker ins Auto gesetzt?»
Auf jeden Fall einen, dem es Spaß gemacht hat. Und einen, der die Arbeit der Männer an der «Milch-Front» zu würdigen weiß, bevor er das nächste Mal wieder zur Milch-Tüte, zum Joghurt für das Müsli oder zum leckeren Kakao greift.
Milch-Union Hocheifel – Ein Unternehmensportrait
Milcherfassung: 1,2 Milliarden Liter Rohmilch im Jahr 2011.
Die MUH beschäftigt derzeit rund 820 Mitarbeiter am Standort Pronsfeld. Sie ist damit der zweitgrößte Molkereistandort in Europa.
Rund 80 Fahrzeuge mit einer Gesamtleistung von 10 Millionen Kilometer sind zur Milcherfassung im Einsatz.
Um 1.000 Liter Milch zu erfassen, werden im Schnitt acht Kilometer gefahren.
Die Produktpalette: Frischmilch, H-Milch, Bio-H-Milch, Sahne, Milchmischgetränke, Laktosefreie Milchprodukte, Kondensmilch, Kaffeesahne, Dessert-Sauce, Butter.
MUH-Kunden sind Lebensmittel-Einzelhandel und Discounter wie Aldi, Lidl, Netto, Norma, Edeka, REWE und andere.