Vor sieben Jahren zum ersten Mal, und seitdem jährlich im August, ist Jürgen Feigl auf Easy Riders Spuren von Sturgis, einem 6.000-Seelen-Dorf im US-Bundesstaat South Dakota, aus dabei, wenn beim Welttreffen die Harley-Fahrer cruisen. 2010 waren zur 70. Motorcycle Rallye über 600.000 Bikes (!) gekommen. Premiere hatte das Spektakel am 14. August 1938; damals veranstalteten neun Harley-Fahrer des Motorradclub «Jackpine Gypsies» ausgerechnet auf dem Grundstück einer Indian-Werkstatt ihr Rennen, bei dem zehn Zuschauer an der Strecke standen.
Die Geschichte der fünftältesten Motorrad-Marke der Welt beginnt 1902 am Ufer des Michigan-Sees in Milwaukee. Zwei junge Konstruktionszeichner, William Harley und Arthur Davidson, waren geniale Tausendsassas und zudem noch gute Freunde. Sie beschlossen, einen kleinen, leichten Motor für ihr Boot zu bauen, um auf diese Weise rascher und bequemer ans andere Ufer des Sees zu kommen.
Zur gleichen Zeit ging ein anderer Wunschgedanke um die Welt: Man dachte da an einen kleinen, leichten Motor fürs Fahrrad. So kam es, dass Harley seinen Kumpel Davidson so lange bearbeitete, bis dieser anstatt eines Bootsmotors einen Fahrradmotor entwickelte. Und so entwickelte sich nicht nur die Legende Harley-Davidson, sondern auch ein neues Lebensgefühl.
In einer Hinterhofgarage in Milwaukee (Wisconsin) stellten 1903 die beiden jungen Männer, William (21) und Arthur (20), einen 2 PS und 167 ccm starken Einzylindermotor für ein Fahrrad her, fast der Prototyp des heute gefragten eBikes. Das Hinterrad wird über einen Lederriemen angetrieben, durch Treten der Pedale wird der Motor gestartet. Schon ein Jahr später wurde die erste Produktionsstätte zu klein und Vater Davidson, ein Schreiner, zimmerte den später berühmt gewordenen Holzschuppen, auf dessen Tür folgende Worte geschrieben wurden: Harley-Davidson Motor Co.
Vergeblich wird man diesen Schriftzug in der Gutenbergstraße im Schatten der Walhalla suchen, weil Jürgen Feigl loyal zu seinem Arbeitgeber ist. Natürlich schauen die Nachbarn aus dem Fenster, wenn sie den typischen Sound einer Harley-Davidson hören.
Für seine aktuelle Harley – ein 1965er Santee-motorcycle – hat der Zweiradmechaniker eineinhalb Jahre investiert. Jetzt steht das aus Kanada in einigen Kisten importierte Oldtimermodell schwarz-rot-chrom blitzend da und ist der ganze Stolz des Tüftlers.
«Einmal Harley, immer Harley», diesen Slogan kann Angelika (39) nicht nachvollziehen. Sie schwört auf ihre Ducati, schätzt die Aufmerksamkeit ihres Jürgen, der auch die Ducati «top in Schuss» hält. Kennengelernt haben sich Angelika und Jürgen Feigl natürlich bei einer Biker-Party, die im wahrsten Sinne des Wortes auch emotional für einen Durchbruch sorgte. Leichtgewicht Angelika ging hinter einem «mindestens 103-Kilo-Kerl» eine Holztreppe runter, in die sie schließlich einbrach. «Ich konnte meinen Fuß nicht mehr rausziehen und Jürgen hat nur gelacht», erinnert sie sich. «Dann hab‘ ich zu ihm gesagt, jetzt kann er sich schon hersetzen. Wie groß er ist, wisse ich ja jetzt.» Aus dem Treppenflirt wurde mehr und mittlerweile sind die beiden schon 17 Jahre verheiratet. Noch ist die 19-jährige Tochter Sonja mit einem Roller unterwegs. Das Interesse für eine 125er «für den Anfang» ist aber bereits geweckt.
Jürgen Feigl ist sich seiner Verantwortung beim Aufbau der Harleys bewusst. «Die gesetzlichen Bestimmungen, zum Beispiel hinsichtlich Lärm oder Abgasentwicklung, werden immer strenger.
So ist dann für beinahe jedes Bauteil – nicht nur im Nachbau – mittlerweile ein Gutachten erforderlich, was aber durchaus seine Berechtigung hat», räumt der Zweiradmechaniker ein. «Wem nutzt eine optisch einwandfreie Lenkergabel, die dann bei geringster Belastung auseinanderbricht?»
Probleme, die jeweiligen Teile zu bekommen, gibt es in der Regel nicht. Vor allem für Bauteile der ab 1940 gefertigten Harleys, den sogenannten Militärmaschinen «WLA», existiert ein riesiger Pool, den ein Niederländer zusammengekauft hat und vertreibt. Auch originalgetreu nachgebaute Teile werden in großem Stil gehandelt. Dies hilft auch Feigl, Mitglied im Motorradclub «Savage Skull MC», weil Harley-Freunde an ihn oft individuelle Vorstellungen herantragen. Am Anfang steht immer der jeweilige Rahmen und ein dazu passender «grober» Konstruktionsplan, wie das Bike schließlich ausschauen soll, erklärt der Tüftler. «Der Rest entwickelt sich eigentlich erst beim
Bau.»