Tunesien, das Land zwischen Wüste und Meer, hatte es uns mit seinen Dünen, Oasen, Märkten und seiner reichen Kulturgeschichte angetan. Wir wollten den Djebel Chambi, den höchsten Berg des Landes mit seinen 1.544 Metern, erklimmen. Wir wollten Ksahr Ghilane besuchen, den Teppichmarkt in Kairouan, den Hammelmarkt in Sidi Bou Zid. Dazwischen Nabelschnüre aus brettharten Pisten und dem mehligen Tiefsand, der dich bisweilen in tiefe Depressionen versenkt, wenn du nicht mehr alleine raus kommst. Also alles, was eines Offroad- Freundes Herz begehrt.
Dann brach die Volksrevolution gegen die Herrschenden aus. Krieg und Kampf überzogen das Land mit Leid und Elend, die Grenzen wurden dicht gemacht. Was nun? Was tun? Nordafrika brannte. Ägypten begann, dann Tunesien, später Libyen, wie sich zeigen sollte.
Peter war vor langen Jahren mit einem Service-Truck bei der klassischen Afrika-Dakar dabei. Er wusste viel und baute die 4×4-Tour komplett um auf das Thema «Marokko».
Das Land, das von Mittelmeer und Atlantik nach Norden und Westen begrenzt wird, galt als politisch recht stabil, da eine Art Demokratie vom Königshaus praktiziert wurde. Größere Probleme waren bis dahin nicht bekannt. Fünf ordentliche Geländewagen, teils schon älteren Semesters, brachen mit 11 Insassen auf, um eine Tour zu fahren, die zwischen Soft und Hart, zwischen Kultur, Historie und vielen persönlichen Impressionen angesiedelt sein sollte. Das Ganze im Februar, wenn sich Europa noch im tiefwinterlichen Kleid präsentiert. Aber auch jenseits des Hohen Atlas, zur Sahara hin, blieben die Nächte kalt, schweinekalt regelrecht und so blieben unsere Dachzelte eingeklappt. Kleinere Privathotels hatten schon die Fensterläden geöffnet. Wir waren willkommen! Klarer, azurblauer Himmel, Tagestemperaturen um die 20 Grad. Ideal für eine Tour unseres Anspruchs.
Von der Hafenstadt Nador kommend, ging’s flott mit Kurs Süd in die östlichen Ausläufer des Atlas-Gebirges. Bei Missour verplemperten wir einen ganzen Tag mit der schlussendlich vergeblichen Suche nach der ominösen «Schlucht ohne Namen». Wir näherten uns dann den südlichen Ausläufern des Atlas bei Er Rachidia. Aus der alten Garnisonstadt heraus zu finden, bedurfte etlicher Versuche, bis wir endlich das kleine, handgemalte Schild nach Erfoud entdeckten. Klassischer Einstieg in die alte Afrika-Dakar-Rallye in der Nord-Sahara. Das etwas zerklüftete Gebirge des Erg Chebi mit den gewaltigen Sanddünen ist ein beliebter Sandkasten-Spielplatz für alle, die mal so richtig im Tiefsand ihr Auto ausgraben wollen.
Die Region Tafilalt hat aber noch mehr zu bieten: die glänzend schwarzen Felsen, die so gar nicht ins Farbbild passen wollen. Hassan aus dem nahen Dorf Mfis führt ab und an mal Touristen zum nahen Flamingosee und erklärt uns, dass dieses ungewöhnliche Schwarz von abgestorbenen Mikroorganismen stammt und die Felsen wie eine kristallene Glasur überzieht. Man solle bedenken, dass hier noch vor knapp einer Million Jahren ein riesiges Meer war. «Meer verspricht mehr» kalauert einer aus der Gruppe und schon war das Thema «Versteinerungen» geboren. Wo gibt’s die eigentlich, wo kann man sie finden?
Hassan meinte, wir sollen die Piste via Merzouga nehmen, die sei für unsere Allradler gut zu schaffen und dann irgendwo rechts, uns nordwestlich Richtung Rissani halten. Da gäbe es einen wilden Steinbruch mit Fossilien. Ein paar Sandrosen, die Wind und Luftfeuchtigkeit aus dem Sand «backen», fanden wir auch noch und so war es ein reicher Tag. Wir suchten den etwas mühsamen direkten Weg durch den Ibel Ougnat, vorbei am verlassenen Bergbauweiler Ait Oufrou und über den Schotterpass Tizi-n-Tafilalet nach Zagora, wo wir mal endlich wieder im Hotel duschen konnten.
Silberschmiede und Fossilienverkäufer prägen diese grüne Wüstenstadt am Draa-Fluss. Ab dort ging’s zügig auf geteerter Straße nach Boumaine du Dades: Quasi direkt in die immer enger werdende Dades-Schlucht. Der wasserreiche, aus den Schneefeldern des Hohen Atlas gespeiste Fluss hatte sich in Jahrmillionen tief ins Gestein gefressen und die vielen geologischen Schichten, Formationen und Faltungen freigelegt. Faszinierend, was uns die Erdgeschichte hier erzählt. Und dann stehen wir plötzlich am Talschluss, die Straße ist zu Ende, die mächtige Atlas-Bastion erhebt sich direkt vor uns. Und es gab wirklich einen hautengen Durchschlupf, unmittelbar in eine scharf-schottrige Steinöde übergehend, sich immer steiler nordwärts schraubend. Ja, wir wollten die Verbindung des Dades-Tals mit der Todra-Schlucht suchen. Nicht ganz ungefährlich, da der Pass-Übergang bei Msemrir mit 2.800 Höhenmetern vielleicht noch schneebedeckt ist.
Am unauffälligen Y-Abzweig geht es nordwärts nach Ait Timgoute, aber da liegen noch 2 Meter Schnee drin. Die einzige Alternative besteht im engen Pfad östlich tief runter nach Tamtattouchte. OK, sagt die Karte, da geht vielleicht noch was. Teils entsetzlich steil, teils auf ausgewaschenen Steintreppenstufen, schrauben wir uns hinab, stets am physikalischen Limit zwischen Felseinschlag und tiefem Absturz. In der Untersetzung, teils in der ersten Welle, zirkeln wir mit sensibler Hand unsere Kübel ins enge Tal. Zwischen Violett und Rostrot die Farben. «Oxblood» heißt der Farbton, verbessert mich Christian bei einer kurzen Rast, die wir zur Ent- und Versorgung nutzen: Das Gerüttele und Gerattere geht ganz schön auf die Innereien …
Wir haben es geschafft, ohne uns die Reifen aufzuschlitzen! In Tamtattouchte überfallen uns die Dorfkinder mit ihrem Schlachtruf «Stylo, Stylo». Sie sammeln Kugelschreiber und anderes Kleinzeug, um ihre Schulaufgaben zu meistern. Wir hatten schon bei der Planung an diese Dinge gedacht.
Ab hier zieht sich ein ganz anderer Wegzustand hinab Richtung Todra-Schlucht: breiter und ständig wechselnd zwischen Gesteinsbrocken und Wasserdurchfahrten. Unsere Fahrzeuge erhalten eine neue Patina und die Grundfarbe verschwindet von Meter zu Meter, weicht einem silbrigen Hellgrau. So sehen bald alle unsere Vierfüßler uni aus. Die Todra-Schlucht ist ein Naturphänomen: Unten am Fuß bis zu 30 Meter breit, oben, bis zu 400 Meter senkrecht höher, berühren sich die eingeschliffenen Felsen nahezu und lassen nur einen schmalen Spalt zum ewig blauen Himmel frei. Nichts für Menschen, die unter Klaustrophobie leiden.
Und irgendwann spuckt uns die Schlucht wieder nach Süden aus. Kioske mit Souvenirs, Busparkplätze, Touristen-Remmidemmi: Japaner fotografieren Japaner, wie sie andere Japaner mit ihren japanischen Digi-Dingern fotografieren …
Wir flüchten Richtung Tinerhir, um die gut ausgebaute Verbindungsstraße nach Ouarzazate zu erreichen. Eine wunderschöne Kasbah reiht sich hier an die nächste, die Anstrengungen aus den Trails im Gebirge weichen lockerer Entspannung. Wir bewegen uns auf der berühmten «Straße der Kasbahs». Das sind ehemalige Sultansschlösser. In Stein und Lehm gebaut, mit kunstvollen Gittern und Applikationen aus geschnitzten Hölzern, handgeschmiedetenEisen- und Kupfergittern. Aufgelockert durch Blumenrabatten und bunte Sträucher. Kaum noch bewohnt, aber gepflegt und erhalten. Auch hier haben die ersten Privathotels schon geöffnet und heißen uns willkommen. Liebevoll gestaltete kleine Häuser mit überraschendem Komfort, die Inhaber kochen meist selbst schmackhafte heimische Kreationen.
Die Zeit drängt leider. Die Fähre von Tanger zum spanischen Festland ist fest gebucht. Die schneebedeckten Häupter des Hohen Atlas zeigen uns im Norden, wohin wir noch wollen: in eine der schönsten Städte der Welt. Marrakesch.
Hinter Ouarzazate, also westlich, vorbei am Marktdorf Ait Benhaddou, stehen die Atlas-Filmstudios inmitten der Wüste. Große Kinofilme wurden und werden hier gedreht. Wir schlagen uns wieder weg vom Asphalt, wollen ein letztes Mal in artgerechtes Offroad-Terrain einschwenken und schrauben uns langsam hoch im trockenen Bachbett des Asif Ounila zur einmalig schönen Kasbah Anemiter. Eine letzte ausgiebige Rast und weiter geht’s zum 2.280 Meter hohen Pass Tizi-n-Tichka, dem wichtigsten Trans-Atlas-Pass zwischen Nord- und Südmarokko. Bei der Abfahrt nach Marrakesch lassen wir unsere Kübel schon etwas «fliegen», bis uns enge Serpentinen zur Mäßigung zwingen.
Marrakesch. Gepflegte Parks, Palmen, schlossähnlich angelegte Gärten, weiße Häuser, blauer Himmel. Farbenprächtige Soukhs und Bazare. Alles, was man braucht zum Leben und Wohnen in buntester Vielfalt: Teppiche, Obst, Gemüse, Backwerk, Geschmeide, Kunsthandwerk und Gewürze. Tausend wilde Düfte umwehen dich und machen dich trunken. Auf der Djemaa el Fna, dem «Platz der Gehenkten», die selbstbewussten Wasserträger mit den silbernen Trinkwasserbehältern, die für’s Fotografiertwerden Geld verlangen und ausgesprochen aggressiv werden können. Im Café nehmen wir noch einen frischen Minztee, inhalieren Geräusche, Farben und Düfte ein letztes Mal.
Acht Wochen später sprengt sich ein Terrorist in diesem Café in die Luft. Ein gutes Dutzend Tote und viele Verletzte die grausame Bilanz. Wir haben einfach Glück gehabt. Unfassbares Glück …