Boss der deutschen Fußball-Schiedsrichter, Konzertpianist, Leiter eines Kulturamtes und Talkmaster
Auf der einen Seite Herbert Fandel als Gastgeber der Reihe »Einblicke – Menschen mit Geschichte und Geschichten«, Boss der deutschen Fußball-Schiedsrichter, Referee des Champions-League-Finales zwischen AC Mailand und FC Liverpool, dazu Konzertpianist, Leiter eines Kulturamtes und einer Musikhochschule. Und seit einigen Jahren auch noch Talkmaster.
Dazu als Fandels Gast ein Mann, sowohl Politiker, als auch Querdenker, einer der gerne Konventionen sprengt und über Parteienproporz hinausdenkt. Und mehr als einmal auch bewusst aneckt: Dr. Gregor Gysi, Linken-Abgeordneter und Oppositionschef im Deutschen Bundestag, Rechtsanwalt mit DDR-Karriere und heute Chef der europäischen Linken. Kein Wunder, dass ein Hauch von spannungsgeladener Ungewissheit über
diesem Tête-à-Tête lag. Wie würden ein Mann, der Chopin und Schubert spielt, der Cristiano Ronaldo mit der Pfeife zu sich zitiert und einer, der mit dem Papst, mit Fidel Castro und Gorbatschow Geschichte mitbestimmt hat, miteinander umgehen. Auf Augenhöhe, bestimmt. Ja. Aber was würde unter dem Strich stehen?
Ein Mann, sowohl Politiker, als auch Querdenker, einer der gerne Konventionen sprengt
„Er ist ein Politiker und was für einer. Ein Unikat, da gibt es keine Schablone“, begrüßte Fandel, im Hauptberuf Leiter des Kulturamtes der Stadt Bitburg, seinen Gast. Einen besseren, redegewandteren, ja geradezu redebesessenen Gast hätte sich der oberste deutsche Fußball-Schiedsrichter nicht einladen können. Nach der ersten Replik („Wieso tragen Sie eine rote Krawatte? Die steht doch eigentlich mir zu!“) erzählt der 1948 geborene Gysi wie ein Wasserfall. Aus seinem Leben, seiner Jugend in der DDR, seinem Aufwachsen zwischen Kapitalismus (seine Mutter stammte aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie) und Sozialismus. Dem persönlichen Wachsen im vereinten Deutschland und seiner Sorge um das zukünftige Europa.
Die Prominenz gibt sich bei Talkmaster Fandel seit 2010 die Klinke in die Hand. Dr. Heiner Geissler, MaLu Dreyer, Dr. Theo Zwanziger, Lea Linster. Und, und, und… Als der Run auf die Karten für das verbale Gysi-Gastspiel offiziell begann, waren die 300 Tickets für den großen Saal im Bitburger Kulturzentrum »Haus Beda« in Windeseile weg: „Eine Minute und 48 Sekunden genau hat es gedauert“, erzählt der Gastgeber und Moderator dem KÜSmagazin. „Dann war Schicht im Schacht.“
Fandel war klug genug, Gysi den Löwenanteil des Gespräches zu überlassen. Ein paar Stichworte genügten und sein prominenter Gast gewährte die im Titel der Reihe avisierten Einblicke. Blicke vom Hin und Her gerissen sein zwischen Ost und West, vom Pendeln zwischen den Gesellschaftssystemen, geprägtes 69-jähriges Leben. Gysi, dessen Vater DDR-Botschafter in Italien war, ist sich seiner privilegierten Herkunft bewusst: „Meine Mutter wohnte zeitweise in St. Petersburg. Wir hatten zuhause Gäste aus aller Welt: Großbritannien, Südafrika, Frankreich. Wir spielten Bridge, Mahjong und Monopoly. Das alles war in der DDR nicht üblich.“
Dennoch sieht sich der »mediale Vorzeige-Linke« als Anwalt der kleinen Leute. Er genoss sogar eine Fachausbildung als Rinderzüchter („Margot Honecker hatsolche zusätzlichen Ausbildungen eingeführt, weil sie befürchtete, dass wir den Kontakt zur Arbeiterklasse verlieren“). Gysi ist ein Getriebener. Auch drei Herzinfarkte haben ihn bisher nicht bremsen können.
Ob er alles noch einmal so machen würde, will Fandel zum Schluss wissen
„Nein“, widerspricht Gysi: „Ich habe privat viel zu viel verloren.“ Zwei Ehen, zwei Scheidungen, drei Kinder legen davon ein Zeugnis ab. Sein Vermächtnis ist anderer Natur.