Quellen und Kirchen, Bachtäler und Berggipfel, knorrige Bäume und ein außergewöhnlicher Friedhof: Sie alle sind besondere Orte, Kraftorte, im Sauerland. „Wir bezeichnen diese besonderen Plätze als Seelenorte,“ so Sabine Risse vom Tourismusverband Sauerland. Diese Überleitung mag im ersten Moment ziemlich gewagt erscheinen. Doch wer einige dieser Plätze besucht, bemerkt zwischen den beiden Bezeichnungen die Seelen-Verwandtschaft.
Die Almequellen blubbern beständig, Bläschen steigen auf und zeichnen Kreise an der Wasseroberfläche. Aus 140 Quellen insgesamt sprudeln bis zu 800 Liter Wasser pro Sekunde und bilden das Alme-Flüsschen, das von hier aus talwärts strömt und bei Schloss Neuhaus in die Lippe mündet.
Heimatkundler und Historiker, Förster und Pfarrer, Naturschützer und Wanderguides im Sauerland wurden vor einigen Jahren aufgerufen, ihre besonderen Plätze zu benennen. Das Echo war überwältigend: Mehr als 200 Vorschläge kamen zusammen. 42 Orte wurden herausgefiltert, verteilt über die großflächige Region zwischen Lennestadt, Hallenberg, Brilon und dem Diemelsee.
Sie alle sind als Bestandteile regionaler Kultur und Geschichte prägend für Land und Leute. „Es sind ehrliche Plätze, die den Sauerländern selbst wichtig sind“, betont Touristikerin Risse. Und gleichzeitig Anlaufpunkte für Urlauber, dieses Mittelgebirge in Westfalen näher kennenzulernen.
Mit Waldbaden, das von manchen Bloggern und InfluencerInnen gehypt wird und so manche Ferienregion für sich entdeckt haben will, haben die Seelenorte nichts zu tun.
Im Land der 1.000 Berge, wie das Sauerland auch genannt wird, spielt der Wilzenberg zwischen Grafschaft und Winkhausen eine Sonderrolle. Denn als Einzelberg ragt er 685 Meter empor. „Alle anderen Gipfel des Sauerlandes sind in Bergketten eingebunden. Auch der Langenberg, mit 843,5 Metern die höchste Erhebung in Nordrhein-Westfalen und der bekanntere Kahle Asten mit 841 Metern sind jeweils Teile von Gebirgszügen“, erläutert Hans-Robert Schrewe seinen Mitwanderern während der Bergtour.
Schrewe war früher Beamter bei der Stadt Schmallenberg, heute bezeichnet er sich selbst als Erzählpate vom Wilzenberg. Er hat viel zu berichten: Von den Kelten, die bereits 200 Jahre v. Chr. auf der Höhe eine Fliehburg anlegten, gefolgt von einem zweiten Ringwall um 1.000 n. Chr.
Als heiligen Berg bezeichnen sie den Wilzenberg. Bereits 1543 wurde eine Kapelle auf dem Bergplateau erwähnt. Das heutige, schlichte Marienkirchlein stammt von 1633. Seit 200 Jahren ist der Wilzenberg Wallfahrtsstätte, so Schrewe. Alle drei Jahre wandern mehr als 400 Schützenbrüder aus dem Raum Meschede singend und betend den Berg empor – für sie ganz sicher ein Seelenort.
Wie auf dem Wilzenberg tauchen die Besucher auch bei anderen Seelenorten ein in deren Geschichte, manchmal in ganz persönliche Geschichten.
Die Geschichte etwa über Oma Henriette im Ohl bei Willingen, der Großmutter von Renate Hill, die nahe der 250 Jahre alten Eiche lebt. Bergan sei Henriette auch mit 90 Jahren zur Eiche gelaufen, mühsam Schritt um Schritt. „Sie wollte wohl ein letztes Mal die Ausstrahlung des knorrigen Baumes spüren, für sie ein Seelenort“. Zwei Tage darauf starb Oma Henriette. Heutzutage führt Renate Hill hin und wieder Gäste zu der alten Eiche, die so kraftvoll ihr breites Astwerk über den Wiesen am Berghang ausbreitet.
Den Seelenfrieden finden, die Seele mal baumeln lassen – zwei Redensarten, die zu weiteren Orten leiten. Zum Freistuhl in Medebach-Düdinghausen, wo im Mittelalter Schiedsgerichte tagten. Geschichtskenner Horst Frese: „Es wurde über kleinere Vergehen geurteilt, etwa den heimlich versetzten Grenzstein oder eine Wirtshausschlägerei. Die Strafen waren angemessen, damit der Seelenfrieden unter den Nachbarn im Dorf wieder herstellt werden konnte.“
Durchs Schwarzbachtal bei Kirchhundem-Heinsberg führt Ranger Ralf Schmidt die Urlauber bei mehrstündigen Wanderungen. Wo der Fernwanderweg Rothaarsteig das Gewässer auf einer Holzbrücke überquert, „kann man die Seele baumeln lassen“, so der Forstwirtschaftsmeister vom Forstamt Schmallenberg. Ruhig ist es in dem einsamen Talgrund, kein Motorengeräusch ist zu vernehmen. Feiner Nieselregen tröpfelt hinab, der Schwarzbach murmelt übers Gestein.
Manchmal fragen Feriengäste den Ranger: Können sie uns etwas Spektakuläres bieten? Schmidts Antwort: „Die kleinen Dinge der Natur, die wir wandernd im Tal entdecken, sie sind herausragend.“ Forellen huschen im klaren Wasser, Luchs und Wildkatze leben in dem Gebiet, Rot- und Schwarzwild sowieso, dazu Wasseramseln, scheue Eisvögel und seltene Schwarzstörche.
Wo kommen wir her, und wohin gehen wir? Diese Fragen mag man während der Reise zu den Seelenorten im Sauerland stellen. „Im Tod sind alle gleich“, diese Volksweisheit wird überdeutlich auf dem Friedhof in Schmallenberg-Wormbach an der Dorfkirche St. Peter und Paul. Schlichte Holzkreuze stehen hier in Reih und Glied, es gibt keine überdimensionalen, steinernen Grabmäler.
„In den 1940er Jahren hat der damalige Pastor August Rösing diesen Kult beendet: Großer Bauer gleich dickster Grabstein. Das war dem Pfarrer zuwider“, erzählt Rita Engelbertz. Die Schmallenbergerin zeigt seit vielen Jahren Besuchern den Friedhof und die Dorfkirche, um das Jahr 1250 erbaut und eines der ältesten Gotteshäuser weit und breit.
Das heutige Gotteshaus ist Wormbachs vierte Kirche, die erste soll Überlieferungen zufolge schon im 8. Jahrhundert hier gestanden haben. Damals zogen Mönche über die Heidenstraße zwischen Köln und Kassel zur Christianisierung ins Sauerland. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, soll auch in Wormbach gewesen sein. Das wird in manchen Erzählungen behauptet. Doch sicher ist das keineswegs: Seelenorte verbergen ihre Geheimnisse.
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