„
Hier sind
Ihre Schlüssel
“
Ganz und gar nicht charmant ging Adolf »Adi« Stadler bei Nastya Pashenko vor: Er brandmarkte das Oberklassen-SUV der gut verdienenden jungen Dame als Klimakiller, indem er etwas auf der Motorhaube platzierte. Vornehm ausgedrückt, handelte es sich um die Exkremente eines Vierbeiners. Adi, der ewige Altlinke, war von seiner Aktion begeistert, die Autobesitzerin weniger.
Zwei Beispiele von vielen, mit denen der ganz normale alltägliche Wahnsinn auf den Bildschirm kam. Das alles begann am 8. Dezember 1985 um 18.40 Uhr mit dem heute legendären Satz „Hier sind Ihre Schlüssel“. Hausmeister Egon Kling war sehr freundlich zu den Mietern, meistens jedenfalls. Gattin Else hatte es damit nicht so.
Schon bald entwickelte sich die so unscheinbar wirkende Serie zum Renner. Für die Fans fortan ein fester Termin im Sonntagsplaner, von Gegnern belächelt. An Reizthemen mangelte es wahrlich nicht: Zwei Männer, die als Paar zusammenleben, von denen einer später als Hausarzt im Viertel arbeiten würde – absolutely shocking in der noch jungen Ära von Kanzler Kohl. Mutter Beimer nach langer Ehe von Ehemann Hans für eine Jüngere verlassen – da hoben erstaunlich viele Zuschauer noch den »dududu«-Zeigefinger. Sohnemann Klaus fand nach kurzfristiger Verirrung an den braunen Rand der Gesellschaft wieder zurück ins Leben. Und Amelie von der Marwitz bewies im Paarlauf mit Graf von Salen-Priesnitz, dass – entgegen einer gängigen Auffassung – Erotik im Alter keineswegs nur aus Mahlzeiten bestehen muss.
Sprungbrett
vieler Karrieren
Oh ja, die Lindenstraße konnte polarisieren. In größeren Städten boten Cafés das gemeinsame Anschauen an, Hochschullehrer akzeptierten die Serie als Thema für universitäre Abschlussarbeiten. Unbestritten ist, dass sie für manchen Schauspieler den Karrierestart bedeutete: Aus Jo Zenker wurde zum Beispiel Til Schweiger, heute aus der Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken. Ulrike C. Tscharre (Marion Beimer), Anja Antonowicz (Nastya Pashenko) und Manon Straché (Claudia Rantzow) sind inzwischen häufig in verschiedenen Rollen zu sehen. Auch als Karriereschub taugte die Serie – Harry Rowohlt, im Hauptberuf Kult-Übersetzer, wurde als „Penner Harry“ ebenfalls beim Fernsehpublikum Kult. Kein Wunder – seine TV-Bonmots standen den Übersetzungen in nichts nach.
Trotzdem ist am 29. März 2020 Schluss – nach fast 35 Jahren. Mancher Fan mochte die Information für »Fake News« gehalten haben. Es war keine.
Realistisch betrachtet muss man sagen: Die Entscheidung ist verständlich. Zu problematisch war in den letzten Jahren offenbar die Bestückung mit typischen Reizthemen. Was eben einst den Reiz der Serie ausmachte, wirkte zunehmend bemüht, verkrampft und manchmal unfreiwillig witzig. Was einst skandalös war, juckt heute – salopp gesagt – kaum mehr jemanden. Und dass die Quoten anno 2019 nicht mehr mit denen von 1985 vergleichbar sind, ist nur logisch: Die heute übliche Vielfalt von Privatsendern macht sich halt auch in den Zuschauerzahlen bemerkbar.
Mehr als in den letzten Jahren ist in den vergangenen Monaten via Bildschirm passiert. »Ehemalige« kamen zurück für ein kurzes Gastspiel, auch der Sensenmann tat, was er eben tut. Der freilich hatte unter den Bewohnern eine kaum zu toppende Konkurrentin: Anna Ziegler (behielt ihren Namen nach der Eheschließung mit Hans Beimer) entzog sich erst dem Zugriff eines widerwärtigen Zeitgenossen. Der wollte sie mit brisantem Wissen über den Gatten zu vergnüglichen gemeinsamen Stunden zwingen. Jahre später erschrak sie sich über den Lebensgefährten ihrer Tochter so sehr, dass sie ihn ohrfeigen wollte. Der war wiederholt gegen Sarah Ziegler handgreiflich geworden, von Reue oder Besserung keine Spur. Für beide Männer endete Annas Wehrhaftigkeit tödlich. Tatsächlich war niemals Vorsatz im Spiel.
Natürlich machte auch die Wiedervereinigung vor der Kultserie keinen Halt. Ein Teil der beliebtesten Darsteller ging 1998 auf Ost-Tournee, nicht ohne vorher in einem Trabi zum Fototermin vorzufahren.
Und nun? Der Sendeplatz wird neu besetzt. Verzichten muss die Fangemeinde trotzdem nicht – DVD sei Dank. Und mit wiederholten Folgen darf gerechnet werden. So hat dann ausgerechnet die heutige Sendervielfalt hier doch noch ihr Gutes.
Fotos picture alliance Fotoreport, Roberto Pfeil, WDR/Steven Mahner