Sekundenschlaf wird oftmals unterschätzt


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Juni 2011, auf der A1 kurz vor drei Uhr morgens: Ein Sattelzug ist Richtung Bremen unterwegs. Keine besonderen Vorkommnisse, bis der Lkw plötzlich von der Fahrbahn abkommt. Das tonnenschwere Geschoss fräst ungebremst in den Graben, überschlägt sich und bleibt auf dem Dach liegen. Der Fahrer ist schwerverletzt. Die Autobahnpolizei sperrt für die Bergung die A 1 halbseitig. Kilometerlange Staus behindern den Verkehr.

Sekunden, die Ÿber Leben und Tod entscheiden

Solche Unfälle sind an der Tagesordnung. Sie haben häufig eine gemeinsame Ursache: den berüchtigten Sekundenschlaf. Reinhard Wagner, Vorsitzender des «Arbeitskreises Schlafapnoe Niedersächsischer Selbsthilfegruppen e. V.» schätzt, dass ungefähr vier Prozent der – typischerweise männlichen – Bevölkerung in Deutschland potentiell betroffen sind, rund drei Millionen Personen, von denen auch viele hinter dem Steuer eines Lkw sitzen. Sie leiden an obstruktiver Schlaf-Apnoe (sprich «apnö»). In diesem Fall führt im Schlaf unter anderem eine starke Entspannung der ringförmigen Muskulatur um die oberen Atemwege dazu, dass die Luftröhre durch den beim Einatmen entstehenden Unterdruck in diesem Bereich zusammenfällt. Üblicherweise geht mit dieser Krankheit lautes Schnarchen einher. Die Aussetzer treten individuell unterschiedlich auf, Ärzte sprechen von einer pathologischen Apnoe, wenn pro Stunde mindestens zehn solche Phasen über zehn Sekunden Dauer gezählt werden. Die Folgen sind unter anderem tagsüber Müdigkeit verbunden mit dem erhöhten Risiko des Sekundenschlafs.

Über diese Krankheit besteht Aufklärungsbedarf. Deshalb stand sie auch im Mittelpunkt eines Verkehrsicherheitstages, den der Arbeitskreis Schlafapnoe zusammen mit der Autobahnpolizei Sittensen im Juni an der A1 veranstaltete. Reinhard Wagner stellte eine bayerische Studie vor, die besagt, «dass 25 Prozent der Verkehrsunfälle mit schwerverletzten Personen und Toten im Zusammenhang mit starker Müdigkeit stehen.» Lkw-Fahrer leiden ohnehin schon unter «ungünstigen Schlafbedingungen wie Lärm, Licht oder Temperaturen.»

Dabei sind die rechtlichen Bestimmungen bei der Verursachung eines Verkehrsunfalls im Zusammenhang mit Übermüdung und Sekundenschlaf und die daraus resultierenden Folgen den meisten Verkehrsteilnehmern nicht einmal ansatzweise bekannt. Denn in der Regel gibt es kein Einschlafen am Steuer ohne vorherige Anzeichen, die auch von unerfahrenen Fahrern festgestellt werden können. Sollte es zu einer Fahrt mit einem Fahrzeug und dabei zu einem Verkehrsunfall mit der Ursache Übermüdung kommen, bedeutet das unter Umständen knallharten Führerscheinentzug, ganz zu schweigen von einem eventuellen Regress der Versicherungen. Doch damit nicht genug. Es könnte auch eine Straftat in Betracht kommen, wenn der Fahrzeugführer etwa deutliche Ermüdungserscheinungen ignoriert hat. Der Gesetzgeber und die Justiz betrachten diesen Tatbestand als derart gefährlich, dass dieses Verhalten vom reinen Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand nicht mehr getragen wird.

Wie bei jeder ernsthaften Krankheit hilft nur ein Arztbesuch weiter. Der Allgemeinmediziner schreibt eine Überweisung ins Schlaflabor. Dort wird zunächst der Verdacht mit einem ambulanten Gerät, das eine Nacht zu Hause eingesetzt wird, untermauert. Steht der Befund, startet nach zwei Nächten im Schlaflabor mit Videoüberwachung in aller Regel eine Behandlung mit CPAP-Atemtherapiegeräten (Continuous Positive Airway Pressure): Ein Gebläse erzeugt via Schlauch und Maske einen leichten Überdruck, der das Zusammenfallen der Atemwege verhindert. Schlaf gerettet, Schnarchen und Tagesmüdigkeit vergessen. Einziger Haken: Diese Therapie heilt nur in Grenzen und muss ein Leben lang angewendet werden. Wer aussetzt, hat sofort alle Symptome wieder.

CPAP-Geräte kosten mit Maske und Luftbefeuchter, die in der Regel mitverschrieben werden, rund 2.000 Euro, müssen allerdings nicht erworben werden. Krankenkassen schließen mit Atemzentren, welche die Geräte bereitstellen, sogenannte Serviceverträge, die alle Kosten beeinhalten. Typischerweise beträgt die jährliche Summe, welche die Kasse vollständig übernimmt, 650 Euro. Darin enthalten sind Verbrauchsmaterialien wie Filter und neue Masken, die jährlich ausgetauscht werden. Der Eigenanteil des Patienten am CPAP-Gerät beträgt in der Regel nur zehn Euro.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch andere Therapiemethoden in Frage kommen, etwa Operationen oder Schienen, die den Unterkiefer im Schlaf nach vorne drücken. Eine Menge Aufwand nur wegen ein bisschen Schnarchen? Weit gefehlt, hier geht’s um die Therapie einer ernsthaften Krankheit, die nicht nur durch einen Unfall mit dem Tod enden kann.

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