Seit Jahren leiden Testfahrer unter schlechtem Ruf: Sie gelten als hirnlose Raser und lebensgefährliche Verkehrsteilnehmer. Dochsorgt lediglich eine kleine Minderheit für negative Schlagzeilen, die einen ganzen Berufsstand in Misskredit bringen. «Waghalsigkeit, Risikobereitschaft und Übermut sind keine Voraussetzungen für Testfahrer», erklärt Rudi Adams, 49, verheiratet und Vater einer Tochter. Er arbeitet bei PirelliDeutschland als Versuchsingenieur und zählt somit zur Riege der Testfahrer. «Was wir machen, ist nicht ganz ungefährlich und verlangt oft nach einer gehörigen Portion Beherztheit. Dennoch geschieht auf Testfahrten nichts, was unüberlegt oder unkalkulierbar wäre», erklärt Adams. Das Feingefühl der Fahrzeugbeherrschung hat sich Rudi Adams bereits in jungen Jahren angeeignet: Bei Motocross-Rennen im Rahmen der Deutschen und Weltmeisterschaft.
Konzentration ist gefragt
Testfahrer arbeiten nicht nach Dienstplan und haben einen außerordentlich langen Arbeitstag. Adams bestätigt: «Mein Tag beginnt um 06:15 Uhr und endet frühestens um 22:00 Uhr in einem Hotelbett irgendwo in der Nähe einer Test- oder Rennstrecke. Irgendwo in Europa, nur selten in der Nähe meiner Heimat am Nürburgring.» Flexibilität und Reisebereitschaft sind unbedingt erforderlich. Adams verbrachte im vergangenen Jahr exakt fünf Tage im Büro. Die Schreibtischarbeit erledigt er via Notebook auf der Teststrecke zwischen einzelnen Testreihen. Neben dem Verfassen von Testberichten, Bewerten und Benoten neuer Reifen gehören auch Reise- und Terminplanung sowie Hotelbuchung zum «Büro-Alltag» des Testers – alles ohne Bürohilfe. «Außerdem trage ich Sorge, dass die Pirelli-Mechaniker mit Material am richtigen Ort sind, die Teststrecke gebucht ist und die Testfahrzeuge bereitstehen», berichtet er weiter. Nach Feierabend arbeitet Adams an seiner Fitness, die wesentlicher Bestandteil seines akribischen Berufes ist. Unterwegs treibt er Sport in hoteleigenen Fitnessräumen oder absolviert einfaches, aber effektives Training im Hotelzimmer. Wenn er frei hat, quält er sich mit Rennrad oder Mountainbike durch die Eifel. Ist Adams am Testen, verbringt er fast den ganzen Tag im Auto und fährt mit verschiedenen Reifen unterschiedlichste Testreihen. Im Auftrag von Pirelli Deutschland ist er überwiegend zur Betreuung von VW, Aston Martin, BMW M, Quattro GmbH, Audi, Porsche und McLaren unterwegs. Brauchen diese Hersteller neue Reifen für neue Fahrzeuge, ist die Reihe an Adams. Mit seinen Testfahrten liefert er wichtige Erkenntnisse, um den perfekten Reifen für das jeweils neue Auto zu konstruieren. «Um einen Reifen zu entwickeln, benötigt man ein profundes Fachwissen. Ein Tester muss genau wissen, welche Veränderungen an Reifen oder Fahrzeug welches Ergebnis mit sich bringen», erklärt Adams.
Die erforderliche Konzentration ist extrem hoch, denn verwertbare Ergebnisse liefern nur Fahrten, die exakt gleich sind. «Ich muss während der Fahrten stets das Gleiche tun. Ich darf beispielsweise nicht ein Ausweichmanöver bei 200 und das nächste bei 180 km/h machen», erklärt Adams. Überdies müssen sich die Testpiloten unerschrocken gegenüber Fahrzeugreaktionen zeigen. Über- oder Untersteuern dürfen den Fahrer nicht aus der Ruhe bringen, den Testablauf nicht beeinflussen. «Ich muss meine ganze Aufmerksamkeit auf die Reifen richten. Nur so kann ich erkennen, wie sich der Pneu in der jeweiligen Situation verhält», erklärt er.Es ist es nicht ungewöhnlich, wenn die Fahrer außer ihrem Frühstück keine weitere feste Nahrung zu sich nehmen und erst am Abend im Hotel etwas «zwischen die Kiemen» bekommen. In den kurzen Pausen zwischen den Fahrten bleibt Adams oft nur Zeit, seinen Flüssigkeitshaushalt in der Waage zu halten.
Tipps vom Profi
Adams hat Spaß an seiner Arbeit, auch wenn sie anstrengend und er viele Tage im Jahr von seiner Familie getrennt ist. «Ich erlebe überwiegend via Skype, wie meine Tochter aufwächst.» Dennoch hat er seinen Traumberuf gefunden: Als Pirelli-Testfahrer kann er seiner Leidenschaft, dem Fahren im Grenzbereich, frönen. «Mit Pirelli habe ich einen echten Glücksgriff gelandet: Ich fahre stets die neuesten Autos, auch am Grenzbereich, ohne dafür mein Sparbuch plündern zu müssen – der Traumberuf für Männer.» Für Interessenten am Beruf Testfahrer fasst Adams zusammen: «Übermut, Waghalsigkeit, Risikobereitschaft und Bleifuß haben im Alltag eines Testfahrers nichts verloren. Kfz-Fachkenntnisse, Besonnenheit, Fahrzeugbeherrschung und Verantwortungsbewusstsein sind ein unbedingtes Muss. Wer als Testfahrer Fuß fassen will, sollte eine Ausbildung mit Schwerpunkt Kfz-Technik absolvieren und sich dann in der Fahrzeug- oder Teileindustrie bewerben.»
Übrigens: Motorsport betreibt Rudi Adams noch immer. Seit einigen Jahren geht er mit wachsendem Erfolg in der Langstreckenmeisterschaft Nürburgring (VLN) und beim 24-h-Rennen an den Start. Adams schafft dabei immer häufiger den Sprung unter die Top-Ten – bei mehr als 180 Startern pro Rennen!