So traten die berühmten Silberpfeile, wie sie später hießen, beim Eifelrennen am 3. Juli 1934 zum ersten Mal nicht im traditionellen Weiß, sondern mit Manfred von Brauchitsch am Steuer im nackten Gewand an. Nach einem Geistesblitz und einer Nachtschicht war derLack ab – gerade noch pünktlich zum Rennen. Und der im Vergleich zur Konkurrenz leichte Rennwagen aus Stuttgart fuhr einen überlegenen Sieg ein.
Auch bei Porsche hat sich längst herumgesprochen, dass leichtere Fahrzeuge mit gleicher oder sogar geringerer Motorstärke mehr Fahrspaß generieren, siehe Boxster, Spyder oder Cayman, von dem selbst die Macher behaupten, dass es sich dabei um ein Auto handelt, «das wie kaum ein anderes für das Erlebnis Sportwagen steht.»
Nun lässt sich geringeres Gewicht nicht nur dadurch realisieren, dass man Lack abkratzt, Dächer durch Stofftuch ersetzt oder Komfortzubehör wie Fensterheber oder Klimaanlage streicht. Es gilt auch, die richtigen Materialen für den Karosseriebau auszuwählen. Und da steht das leichte Aluminium traditionell an erster Stelle.
Schon 1913 feierte der NSU 8/24 Premiere, eine Reiselimousine, die ganz aus Aluminium getrieben wurde und den 24 PS des 1.7 Liter-Vierzylinders nicht allzu viel Widerstand entgegensetzte. Doch konnte bei der Konstruktion von Spaceframe noch keine Rede sein; auch nicht bei einer Aluminium-Blech-Karosse des Audi 100, die dem Werk nur als Studie diente, aber 1984 werbewirksam von zwei lächelnden zierlichen Mitarbeiterinnen mit Lockenmähne, Midi-Rock und Pumps über das Fabrikgelände getragen wurde.
Spaceframe definiert hingegen das Lexikon als eine Karosseriebauart mit einem
«Skelett aus geschlossenen Hohlprofilen, die direkt oder über Knoten miteinander verbunden sind.»
Flächige Bauteile wie das Dach oder die Windschutzscheibe werden steif mit diesem Gerüstverbunden und nehmen Schubkräfte auf. Die Vorteile dieser Bauweise sind eine hohe Verwindungssteifigkeit, Gewichtseinsparungen und der Einsatz neuer Materialien.
Die Konstruktion ist nicht unbedingt auf Aluminium beschränkt. Das zeigen erste Vorläufer wie der revolutionäre, stromlinienförmige Chrysler Airflow von 1934, der Stahl den Vorzug gab. Auch vom Fiat Multipla rollt bereits die zweite Generation mit Stahl-Spaceframe in Serie auf die Straße. Es ist auch fraglich, ob die puristische Voll-Aluminium-Konstruktion, die für Audi typisch ist, auf Dauer so bestehen bleibt. Denn einerseits werden hochfeste Stähle immer dünner und damit leichter. Andererseits finden neue Werkstoffe Eingang in die Konstruktion wie etwa Kohlefaserverbünde. Für diese Mischbauweise ist beispielsweise der neue 5er BMW ein gutes Beispiel.
Doch bleibt Audi seiner Konstruktionsweise vorerst treu, denn spätestens seit 1994 läuteten die Ingolstädter nach Vorstufen wie der Studie Avus Quattro mit der Präsentation des A8 als erstes Großserienfahrzeug dieser Machart das Zeitalter des Audi-Space-Frame ASF ein. Schließlich wollte man sich in der dünnen Luft der automobilen Oberklasse, die bislang äußerst potente Wettbewerber besetzt hielten, mit «Vorsprung durch Technik» behaupten. Und da kam nach Quattro-Antrieb und direkt einspritzenden TDI-Dieseln die Bauweise ASF gerade recht und ebnete den Weg in die Premiumliga.
Audis Entwicklungsarbeit war ein Prozess, der über 40 Patente hervorbrachte. Und das Prinzip, das den ersten A8 auszeichnete, gilt noch heute: Druckguss- und Tiefziehteile sowie Strangpressprofile bilden ein fachartiges Gerippe, das die Aluminiumbleche mittragend einbindet. Im Herstellungsprozess kommen unterschiedliche Techniken zum Einsatz: Schutzgas- und Laserschweißen, Stanznieten, selbstfurchendes Schrauben, Kleben sowie
das sogenannte Clinchen, bei dem zwei Bleche an den Kanten verstemmt werden.
Der Aufwand lohnt sich, denn gegenüber Stahl ist eine ASF-Konstruktion mindestens 40 Prozent leichter. So wog die erste Karosserie des A8 249, die des aktuellen nur 218 Kilogramm.
Bis heute hat Audi über 550.000 Fahrzeuge mit Aluminiumkarosserie produziert, dazu kommen etwa 9.000 Lamborghini. Darunter sind so ungewöhnliche Fahrzeuge wie der A2, der 1999 als frühes Dreiliter-Auto seiner Zeit wohl weit voraus war, einfach nicht in großen Stückzahlen gekauft wurde, sodass die Produktion schließlich eingestellt wurde. Und natürlich auch der neue A8, der gerade auf der Autoshow in Detroit seine Messepremiere feierte.
Gerade an dem Paradepferd wird das Thema ASF weiter vorangetrieben, indem die Ingenieure die Festigkeit der Gussknoten, Strangpressprofile und Aluminiumbleche weiter erhöhten, um an Materialdicke und damit weiter an Gewicht zu sparen. Es wurde eine neue monolithische Legierung erfunden, die mehr als 250 Newton pro Quadratmillimeter Zugfestigkeit aufweist – an einem 13 Millimeter starken und 30 Millimeter breiten Streifen könnte man zehn Tonnen Gewicht hängen. Außerdem wurde die Anzahl der Baugruppen von 334 des Vorgängers auf 267 reduziert. Und das bei einer 60 Prozent höheren statischen Torsionssteifigkeit.
Auch in Zeiten der Elektromobilität ist Leichtbau die richtige Antwort. So erscheint es nur konsequent, dass der Detroit-Showcar Audi e-tron auch über eine ASF-Karosserie verfügt, allerdings erweitert mit einer sogenannten Hybridbauweise: Alle Anbauteile – Türen, Klappen, Seitenwände und Dach – bestehen aus faserverstärktem Kunststoff.
So zeigt sich auch hier ein Weg, den der Audi TT bereits früher beschritten hat. Gegenüber dem Vorgängermodell, das noch eine reine Stahlblechkarosserie hatte, ist das Leergewicht des aktuellen TT, je nach Version, dank ASF-Technologie um 20 bis 90 Kilogramm gesunken. Da aber die Achslasten ideal austariert werden sollten, haben die Ingenieure wie beim neuen 5er BMW eine Mischbauweise entwickelt: Im Fall des TT besteht der überwiegende Teil des Fahrzeugs aus Aluminium, im hinteren Bereich kommt allerdings Stahl zum Einsatz.
So scheint ASF in Reinkultur bei den aktuellen Fahrzeugen nur eine Lösung für den A8 als prestigeträchtiges Alleinstellungsmerkmal zu sein. Auf breiter Front sind hingegen Misch-Bauweisen im Anmarsch, die flexibel, spontan und undogmatisch Lösungen für die unterschiedlichsten Anforderungen bieten – so wie die Techniker in der Nacht vor dem Eifelrennen mit einem genialen Einfall und dessen schneller Umsetzung dem Silberpfeil von Manfred von Brauchitsch zum Sieg verhalfen.