«Gleich singt sie wieder», kündigt Horst Ahlf (70) an. Kaum hat sich die Gondel über den Fluss in Bewegung gesetzt, können die Passagiere das helle Surren der Elektromotoren deutlich hören. Horst Ahlf ist der Wirt vom «Fährkrug» in Osten und nebenberuflich Fährmann. Gemeinsam mit ein paar weiteren Getreuen betreibt er ein einzigartiges Technik-Denkmal in Niedersachsen – die historische Schwebefähre von Osten über den Oste-Fluss. 1909 wurde der stählerne Koloss im Land zwischen Weser und Elbe errichtet. 30 Meter ist die lichte Höhe über dem Wasser und 80 Meter breit das Eisengerüst, errichtet in jener Stahlfachwerkbauweise, der sich auch Gustave Eiffel bediente. An dicken Stahlträgern hängt die Gondel, seit April 2006 geht es nach erfolgter Restaurierung bei sogenannten «Vorführungsfahrten» wieder schwebend von Osten hinüber nach Hemmoor, jeden Tag pünktlich zur vollen Stunde zwischen 10 Uhr und 18 Uhr.
Die Ostener Fähre steht seit 1974 unter Denkmalschutz. Mit ihren fast 102 Jahren ist sie die älteste deutsche Schwebefähre und eine von nur acht Fähren dieser Art weltweit. Das Technik-Wunder zählt zu den Höhepunkten der Deutschen Fährstraße, die der Hamburger Journalist Jochen Bölsche (66) ehrenamtlich entwickelt hat. Die Route führt auf 260 Kilometern Länge von Bremervörde bis nach Kiel und zeigt die Entwicklung technischer Bauten am Ende des 19. Jahrhunderts.
Für die beiden Schwebefähren von Osten und Rendsburg wird derzeit ein Antrag auf Einbeziehung in das UNESCO-Weltkulturerbe erarbeitet. Schließlich ist die älteste Schwebefähre der Welt im spanischen Bilbao mit dem begehrten Titel bereits 2006 geadelt worden.
«Fährmann hol’ över», heißt es an der alten Prahmfähre von Gräpel, einem kleinen Dorf nahe Bremervörde. Wer hier übersetzt, der kehrt erst ein im «Gasthof zum Osteblick».
Er hält ein gemütliches Schwätzchen mit den Wirtsleuten und gelangt dann ans andere Ufer des Flusses, der sich durch die weiten Wiesen des unentdeckten Ostelandes schlängelt.
Während die Tour über die Oste in Gräpel nur ein paar Momente dauert, kann sich die Fahrt mit den Fähren über die Elbe von Wischhafen nach Glückstadt und umgekehrt manchmal auf gut 40 Minuten ausdehnen. Denn: die «dicken Pötte» auf der Elbe haben absolute Vorfahrt. Gleich vier Fährschiffe pendeln ab 4.30 Uhr in der Früh bis in den Abend hinein wie eine schwimmende Brücke über den breiten Strom. Urlauber sind stets fasziniert von der kleinen «Seereise» auf der Elbe: Kameras klicken, wenn in unmittelbarer Nähe ein riesiger Containerliner von Hamburg in Richtung Nordsee unterwegs ist.
Vom Fähranleger lohnt ein Abstecher ins malerische Glückstadt. Die mittelalterliche Festungsstadt wurde nach dem Vorbild italienischer Renaissancestädte geplant: Alle Straßenzüge laufen sternförmig auf den Markt zu.
Am Hafen steht eine der schönsten Häuserzeilen in ganz Norddeutschland.
Brunsbüttel mit den riesigen Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) ist die nächste Zwischenstation auf der Deutschen Fährstraße. Jochen Bölsche erläutert: «Die Fährstraße bietet viele Kontraste, denn die Urlauber erleben erst den stillen Ostefluss und dann den regen Schiffsbetrieb auf dem Kanal.» Die 98 Kilometer lange Verbindung zwischen Elbe und Kieler Förde ist mit jährlich rund 43.000 Schiffen aus über 70 Ländern die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt. All dies und eine Menge mehr zur Geschichte der zwischen 1887 und 1895 erbauten «Straße der Traumschiffe» wird den Besuchern im «Atrium»-Museum direkt neben den Schleusenanlagen anschaulich erklärt.
Mit weiteren Fähren und über Hochbrücken, leitet die Fährstraße die Reisenden in Richtung Rendsburg und Kiel. Die Route ab Brunsbüttel steht ausschließlich im Internet unter: www.deutsche-faehrstrasse.de.Eine Alternative für Radtouristen ist die «NOK-Route», die sich entlang des Kanals über 325 Kilometer in vielen Schleifen durch verträumte Dörfer des Schleswig- holsteinischen Binnenlandes windet und in acht Tagesetappen erstrampelt werden kann.
Als Höhepunkt der Tour in Rendsburg gilt das Schweben mit der kleinen Kanalfähre aus dem Jahr 1913 unterhalb der monumentalen Eisenbahn-Hochbrücke. Wer schwindel-frei ist, steigt der schwebenden Gondel neuerdings aufs Dach: An jedem Sonntag zwischen Mai und September, erklimmt ein Stadtführer mit Besuchern die Aussichtsplattform direkt neben den Bahngleisen. Genau 178 Stufen geht’s zwischen den massiven Eisenstreben auf der engen Wendeltreppe hinauf. Bei bestem Wetter bieten sich in 42 Metern Höhe fantastische Ausblicke übers platte Land – nach Norden etwa bis zum Wikingturm von Schleswig, genau 25,4 Kilometer entfernt.
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