Die Aufgabe: Wanderer und Reiter
vor den Wetterunbilden zu schützen.
Wer – vor allem im »Goldenen Herbst« – einmal mit dem Fahrzeug über eine leere Landstraße, die von einer wunderschönen farbenprächtigen Allee gesäumt wird, gefahren ist, der wird unweigerlich zu der Schlussfolgerung kommen, dass Bäume am Straßenrand erstens etwas Beruhigendes haben und zweitens auch die Aufmerksamkeit des Fahrers von der Straße absorbieren. Wer sich nämlich im Sonnenschein das Spiel der Blätter in dicht belaubten Alleen ansieht, der wird unweigerlich seine völlige Konzentration nicht mehr dem Straßenverkehr widmen können.
Eine These, zu der auch Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr. e. h. Christian Lippold von der TU Dresden neigt, der sich des Themas »präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Baumunfällen« bei einem Presseseminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) widmete. Der Baum kann also, frei nach Chanson-Sängerin Alexandra, nicht nur ein Freund, sondern durchaus auch des Autofahrers Feind sein. Dann nämlich, wenn beide im Straßenverkehr nicht miteinander harmonieren. Problem sei, so Lippold, dass die Bäume in der Regel sehr nah am Fahrbahnrand stünden, und deswegen Kollisionen – oft auch noch mit hoher Geschwindigkeit – meist gravierende Folgen für die Fahrer*innen hätten.
Oft würden die Gefahren, etwa eigene Geschwindigkeit oder die Dichte des Baumstammbestands, genauso wie das Wechselspiel von Licht und Schatten in der tief stehenden Sonne, unterschätzt. Wenn es dann auch noch zu Überholvorgängen, oft auf laubverschmierten, feuchten Straßen kommt, ist das Gefahren-Szenario komplett. Vor allem Überholvorgänge, erläuterte Lippold, seien in Verbindung mit überhöhter Geschwindigkeit mit 73 Prozent der Unfall-Ursachen der auslösende Faktor, wenn es in baumgesäumten Alleen mal wieder richtig kracht. Gefolgt von kurvigen Straßenverläufen oder Wildwechsel.
Nicht einzelne Verbesserungen an potenziellen Gefahrenstellen könnten der Entwicklung steigender Unfallzahlen entgegen wirken, sagt Lippold. Um effizient präventiv arbeiten zu können, bedürfe es eines geeigneten Maßnahmen-Katalogs, der Allgemeingültigkeit besitzen müsse und nicht von Fall zu Fall angewendet werden dürfe. Dazu zählen nach Meinung des anerkannten Dresdener Wissenschaftlers Überholverbote, die Errichtung von Schutzplanken, eine systematische Analyse des Unfallgeschehens durch die Unfallkommission, die Einführung von maximal Tempo 80 in Alleen mit gezielter Überwachung an Unfallschwerpunkten und die Herausnahme von stark belasteten Straßen aus Alleen. Zudem müsse das Nachpflanzen oder Neupflanzen von Bäumen ohne Schutzplanken in Zukunft eingestellt werden.
Maßnahmen nach dem »Bauchgefühl« oder dem sogenannten »Gießkannen-Prinzip« (hier ein bisschen, da ein wenig) führten zu keiner signifikanten Verbesserung der Situation. Ebenso wenig seien seiner Meinung nach Zusatzschilder, die vor dem Aufprall auf Bäume warnen, eine Hilfe. Das Gleiche gelte für profilierte Randmarkierungen. Dichter Baumstand, also Alleen, seien seiner Meinung nach ohnehin nicht mehr zeitgemäß: „Die hatten einmal die Aufgabe, Wanderer und Reiter vor den Wetterunbilden von Sonneneinstrahlung bis Wind und Niederschlag zu schützen.“ Das aber sei im Zeitalter der Automobilität nicht mehr gegeben.
Fotos SP-X/Lea Fuji/TU Dresden